Es mag gewagt erscheinen, das Ende von PEGIDA vorherzusagen, da die Bewegung auf dem Höhepunkt ihres äußerlichen Erfolges steht. Überhaupt sind Prophezeiungen immer heikel, weil sie nicht nur durch die Akteure, sondern auch durch den Zufall widerlegt werden können. Warum ich es trotzdem riskiere? Ich habe mir zum ersten Mal die Reden der PEGIDA-Führer nicht bloß durchgelesen, sondern auch im Fernsehen angeschaut. Putin und Russia Today sei Dank. Sagen wir es so: Dass weder Lutz Bachmann noch Kathrin Oertel in der Lage sind, einen fehlerfreien Satz in deutscher Sprache zu formulieren, das mag beim kleinen Mann auf der Straße vielleicht noch Sympathie wecken, dem ja nichts so zuwider ist wie Intellektualismus. Aber dass die PEGIDA-Führer inzwischen sichtlich überfordert sind von der Bewegung, die sie selbst ausgelöst haben, das dürfte auch dem kleinen Mann nicht behagen. Lutz Bachmann und seine Kumpels haben offensichtlich nicht den geringsten Schimmer, was sie mit der Truppe anfangen sollen, die sie so erfolgreich zusammengetrommelt haben. Die neuen “sechs Forderungen” sind wie schon das frühere “Positionspapier” kein politisches Programm, sondern nur eine Ansammlung von Phrasen. Noch lassen sich die Leute Woche für Woche klaglos im Kreis an der Nase herumführen, aber irgendwann wird selbst der eisernste Patriot ungeduldig. Im Internet stimmen die PEGIDA-Führer noch Triumphgeschrei an. Das passiert, wenn Dummheit dem Größenwahn erliegt.
An PEGIDA ist nicht die – verglichen mit der guten alten NPD ziemlich milde – Agitation gegen Flüchtlinge, Einwanderer und Muslime bemerkenswert. Lutz Bachmann fordert ja sogar gemäßigte Muslime auf, sich PEGIDA anzuschließen. (Und gewiss kommen die bald gern zu einer Demonstration, bei der Schilder wie “Islam = Karzinom” hochgehalten werden.) Bemerkenswert an PEGIDA ist vor allem die radikale Verachtung der Demokratie. Die Bewegung hat dem Rest der Gesellschaft den Krieg erklärt, was jede Verständigung ausschließt und alle Logik außer Kraft setzt. PEGIDA beklagt eine vermeintliche Abschaffung der Meinungsfreiheit in Deutschland – und verurteilt gleichzeitig den Schlagersänger Roland Kaiser dafür, dass er seine Meinung gesagt hat. PEGIDA protzt mit einer in der Tat beachtlichen Teilnehmerzahl – und denunziert zugleich die Gegendemonstranten, die angeblich alle nur auf “Druck von Behörden” oder “wegen der Gratis-Konzerte” auf die Straße gingen. PEGIDA fordert eine “Repräsentation unseres Volkes” im Deutschen Bundestag – und verurteilt zugleich alle “Altparteien”, die von der deutschen Bevölkerung in den Bundestag gewählt wurden. Es herrscht unangefochten die Logik des Krieges: Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns. Wer uns kritisiert, der lügt. Die Führer der PEGIDA, diese geistesschwachen Knallchargen, haben die Bewegung in eine Sackgasse manövriert: Friedensgespräche haben sie unmöglich gemacht, aber eine bedingungslose Kapitulation der Bundesrepublik Deutschland ist so schnell auch nicht zu erwarten. Noch kann Lutz Bachmann die Menge mit Ausfällen gegen den äußeren Feind bei Laune halten, doch das Murren wird schon vernehmlicher. Der größte Feind von PEGIDA ist jetzt die Langeweile.
Kann denn aber eine Bewegung anti-demokratisch sein, die beständig vom “Volk” spricht? Sogar reklamiert, das “Volk” zu sein? Das geht ganz problemlos, wenn man “völkisch” gesinnt ist. Dann gehören nämlich Immigranten nicht zum “echten” Volk, ja trotz einwandfrei arischer Wurzeln nicht einmal die politischen Gegner im Inland. Denn wie könnten “Volksverräter” zum Volk zählen? Wer das Volk ist, bestimmt PEGIDA. Eine “Volksherrschaft” im Sinne dieser Bewegung wäre also keine Demokratie, sondern nichts als eine Diktatur der Patridioten. Einem neurechten Portal namens blu-News haben Frau Oertel und ihr Kollege René Jahn jüngst ein offenherziges Interview gegeben. Als Schreckensszenario für das, was Deutschland bevorsteht, wenn nicht schleunigst die Forderungen der PEGIDA erfüllt werden, nennt dieser Herr Jahn da – die Stadt Brüssel! Denn dort haben angeblich 70% der Bewohner einen Migrationshintergrund. Ob diese Zahl stimmt oder nicht (nach Wikipedia sind es 57%), ist unerheblich. Aber dass für PEGIDA der Alptraum eine Metropole ist, in der Menschen verschiedenster Herkunft zusammenleben, das ist aufschlussreich. Das Ideal dieser Volksdeutschen ist eine rassisch homogene Volksgemeinschaft, in der bestenfalls einige Ausländer geduldet werden, solange sie nicht auffallen. Herr Bachmann und Frau Oertel stellen sich Deutschland wie eine vergrößerte Version von Coswig vor. Wovor uns Gott bewahren möge! Was sie nicht zu wissen scheinen: Es gibt eine Stadt, die noch viel schlimmer ist als Brüssel! Einen Sündenpfuhl der Rassenschande, wo fast 100% der Bewohner einen Migrationshintergrund haben: New York! Das könnte Europa, das könnte Deutschland, das könnte Coswig bevorstehen! Es ist nicht auszudenken!
Was wird nun aber passieren mit PEGIDA? Den Nazis und Komplettirren unter den Demonstranten ist die Bewegung längst zu harmlos. Sie bleiben nur wegen des Erfolgs noch bei der schwarz-rot-goldenen Fahne. Sollte der Zulauf mit der Zeit nachlassen, werden sie ganz schnell zur schwarz-weiß-roten zurückkehren. Der Rest der Anhänger bietet sich zur Ausbeutung durch die Alternative für Deutschland an, Frauke Petry hat die freundliche Übernahme als Wählerschaft schon in die Wege geleitet. Was aber wird bleiben von Lutz Bachmann und seinen Kumpels? Nicht mehr als die schamvolle Erinnerung daran, dass in der vermeintlichen Kulturstadt Dresden so kulturlose Menschen einmal eine öffentliche Rolle gespielt haben.