Die Männer aus den Gesellschaftsklubs und die Arbeiter-Gruppe weichen in den mittleren F[aschismus]-Punktwerten nicht wesentlich voneinander ab. Das wird nur den überraschen, der alle wichtigen Unterschiede in den sozialen Verhaltensweisen aus der sozio-ökonomischen Gruppenzugehörigkeit zu erklären gewohnt ist, und der die Arbeiter als Hauptträger liberaler Ideen sieht. Natürlich wird ihnen auf Grund der gegebenen ökonomischen und sozialen Tatsachen die entscheidende Rolle im Kampf gegen die wachsende Konzentration wirtschaftlicher Macht zufallen, wenn sie im eigenen Interesse handeln, doch wäre es leichtsinnig, die Empfänglichkeit für faschistische Propaganda in diesen Massen zu unterschätzen. Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund für die Annahme, die autoritären Strukturen, mit denen wir uns hier beschäftigen, seien innerhalb der Arbeiterklasse weniger stark entwickelt als in anderen Bevölkerungsschichten.
Erwähnenswert ist, als weiterer Aspekt des „funktionalen“ Charakters des Antisemitismus, daß wir häufig Angehörigen anderer Minderheiten mit stark „konformistischen“ Tendenzen begegneten, die ausgesprochen antisemitisch reagierten. Unter den verschiedenen Fremdgruppen war kaum eine Spur von Solidarität zu finden; vielmehr ist es die Regel, die „Last abzuschieben“, andere Gruppen zu diffamieren, um den eigenen sozialen Status in ein besseres Licht zu rücken.
Schon der beiläufige Blick in das Material genügte, um die Vermutung zu bestärken, daß die sozial Unterdrückten häufig eher dazu neigen, den Druck an andere weiterzugeben, als sich mit ihren Leidensgenossen zu verbünden.
Theodor W. Adorno in: ders., Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford: Studien zum autoritären Charakter (1950)