Zitat des Monats August

Vaterlandsliebe. Man preist sie von allen Kanzeln und Rednerbühnen, als eine der höchsten Tugenden. Ich bin an ihr etwas irre geworden. Sie ist etwas höchst Zweideutiges. Eine politische Tugend kann sie sein für das Regierungsbedürfnis; aber doch wahrlich keine im höhern Sinn christliche. Sie widerspricht vielmehr dem hohen Geiste Jesu und seinen weitliegenden Worten. Er nannte und kannte und empfahl kein Vaterland; die Welt war sein und seiner Jünger Vaterland, der Nächste, und mit wem er auch zunächst in Berührung kommen mochte, war sein Bruder. Tugend ist die Vaterlandsliebe offenbar nicht. Ihre Quellen sind allzu trübe. Sie entspringt nicht aus Überzeugungen, nicht aus notwendigen Vernunftwahrheiten; sondern aus Anhänglichkeit an Umgebungen, die für uns durch Jugenderinnerungen individuellen Reiz haben, oder aus eingerosteter Gewohnheit in gewissen Verhältnissen. […] Oder die Vaterlandsliebe ist höchstens Frucht des Nationalstolzes. Je tiefer der Mensch auf den Stufen der Kultur steht, je größer ist dieser Stolz; so wie sich gewöhnlich der Dümmste am klügsten zu sein einbildet. […] Die Vaterlandsliebe streift sich mit den alten Ortsgewohnheiten ab. Oft ist sie nichts, als behagliche Spießbürgerei. […] Nein, sie ist keine Menschentugend; eine Art Bürgertugend mag sie sein, behufs der Staatsvorteile. Auch wird in der Regel nur von Beamten an sie appelliert, wenn es um ungewöhnliche Abgaben, um Opfer für den Staat, um Landesverteidigung und Krieg zu tun ist. Tugend ist nie die Mutter des Übels. Aber die lebendigste Vaterlandsliebe erzeugt die schädlichsten Untugenden. Entsteht sie durch Gewöhnung an gewisse Orts- und Landeszustände: so verblendet sie gegen bessere Verhältnisse andrer Länder; wird zum verderblichen Vorurteil, und hindert an der Verbesserung und Veredlung des eignen Volks. Entsteht sie als Nationalstolz: so gebiert sie den Nationalneid und Nationalhaß. Sie erstickt die Gefühle allumfassender Menschenliebe.

Carl Gustav Jochmann (1789-1830)