Nachdem ich aus beruflichen Gründen in den vergangenen Monaten fast ausschließlich durch die Grüfte und Schlüfte der Romantik zu irren hatte, atme ich nun erleichtert auf und sehe wieder das Licht des Tages. Ich darf nämlich Heinrich Heine lesen. Es ist beinahe unmöglich zu überschätzen, was Heine für die deutsche Prosa bedeutet, er hat sie im einem Schlag modern, urban und vor allem: witzig gemacht. Die Deutschen haben es ihm nicht unbedingt gedankt: „Die Gräber der deutschen Helden des Weltkriegs verkommen und werden vergessen, und für die Judensau auf dem Montmartre wirft man das Geld zum Fenster hinaus.“ (Julius Streicher, 1926)
Noch bevor Heine mit seinem Buch der Lieder Erfolg als Lyriker hatte, wurde er durch die Harzreise, das erste seiner Reisebilder berühmt. Im Grunde gibt es aber keine Schrift Heines, die man nicht mit Freude und Ertrag lesen könnte, selbst journalistische Gelegenheitsarbeiten gewinnen durch die Meisterschaft seines Stils eine Zeitlosigkeit, die andere Autoren vergeblich mit den epochalsten Epen zu erringen suchen. Die politischen Überzeugungen, mit denen er in der Restaurationszeit nicht nur Feinde, sondern auch Freunde verärgerte, beruhten auf zwei Prämissen: Es ging ihm nicht nur um die Freiheit der Individuen, sondern auch um die Freiheit ihrer Körper. Die jüdisch-christliche Sinnenfeindlichkeit, wie sie sich besonders in der Abscheu vor der Sexualität kundgibt, war das stetige Ziel seines Spotts, lange bevor ein gewisser Friedrich Nietzsche diese Idee zu einer ganzen Weltanschauung auswalzte. Wieviel subtiler Heines Religionskritik ist, mag folgende Stelle aus der Harzreise andeuten: „Die Kinder sahen an meinem Ranzen, daß ich ein Fremder sei, und grüßten mich recht gastfreundlich. Einer der Knaben erzählte mir, sie hätten eben Religionsunterricht gehabt, und er zeigte mir den Königl. Hannöv. Katechismus, nach welchem man ihnen das Christentum abfragt. Dieses Büchlein war sehr schlecht gedruckt und ich fürchte, die Glaubenslehren machen dadurch schon gleich einen unerfreulich löschpapiernen Eindruck auf die Gemüter der Kinder; wie es mir denn auch erschrecklich mißfiel, daß das Einmaleins, welches doch mit der heiligen Dreiheitslehre bedenklich kollidiert, im Katechismus selbst, und zwar auf dem letzten Blatte desselben, abgedruckt ist, und die Kinder dadurch schon frühzeitig zu sündhaften Zweifeln verleitet werden können.“ Die christlichen Weltverbesserer der Zeit konnten sich mit dem Religionsspötter Heine eben so wenig anfreunden, wie die heroischen Tugendbolde mit dem lebensfreudigen Freund der freien Liebe.
Der Begriff „Witz“ bezeichnet ursprünglich das Vermögen, überraschende Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Bereichen zu entdecken, also die Kunst des analogischen Denkens, des treffenden Vergleiches, der erhellenden Metapher. Von dieser Art ist Heines Witz, der die heute selten gewordene – und vielleicht immer schon seltene – Kunst beherrschte, die Leute nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Denken zu bringen. „Der Engländer liebt die Freiheit wie sein rechtmäßiges Weib, er besitzt sie, und wenn er sie auch nicht mit absonderlicher Zärtlichkeit behandelt, so weiß er sie doch im Notfall wie ein Mann zu verteidigen, und wehe dem rotgeröckten Burschen, der sich in ihr heiliges Schlafgemach drängt – sei es als Galant oder als Scherge. Der Franzose liebt die Freiheit wie seine erwählte Braut. Er glüht für sie, er flammt, er wirft sich zu Füßen mit den überspanntesten Beteuerungen, er schlägt sich für sie auf Tod und Leben, er begeht für sie tausenderlei Torheiten. Der Deutsche liebt die Freiheit wie seine alte Großmutter.“
Am grausamsten war Heine als Satiriker. Er konnte Feinde buchstäblich literarisch vernichten und er hat es auch gelegentlich getan. So schrieb er über den deutschtümelnden Reaktionär Wolfgang Menzel: „Ja, nächst der Religion ist es die Moral, für deren Untergang Herr Menzel zittert. Ist er vielleicht wirklich so tugendhaft, der unerbittliche Sittenwart von Stuttgardt? Eine gewisse physische Moralität will ich Herrn Menzel keineswegs absprechen. Es ist schwer in Stuttgardt nicht moralisch zu seyn. In Paris ist es schon leichter, das weiß Gott! Es ist eine eigne Sache mit dem Laster. Die Tugend kann jeder allein üben, er hat niemand dazu nöthig als sich selber; zu dem Laster aber gehören immer zwey. Auch wird Herr Menzel von seinem Aeußern aufs glänzendste unterstützt, wenn er das Laster fliehen will. Ich habe eine zu vortheilhafte Meinung von dem guten Geschmacke des Lasters, als daß ich glauben dürfte, es würde jemals einem Menzel nachlaufen.“ Dass sich Heine in seinen Polemiken nicht immer sauberer Mittel bediente und gelegentlich Unschuldige hinrichtete, sollte man allerdings auch nicht vergessen. Der arme August von Platen, den Heine als „warmen Bruder“ abfertigte, war weder so gefährlich noch so bösartig, wie Heine es sich einbildete. In seiner Polemik gegen den ehemaligen Freund Ludwig Börne kann man Heines Unaufrichtigkeit glücklicherweise leicht am schlechten Stil der entsprechenden Stellen erkennen. So mag mancher einwenden, dass wir es auch Heines Scherzen unter der Gürtellinie verdanken, wenn wir heute Leute wie Henryk Broder sehen und lesen müssen. Aber das wäre so, als würde man dem lieben Gott, der das Paradies gepflanzt hat, vorwerfen, nun müsse man immerzu das Unkraut jäten.
Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in sieben Bänden. Hg. von Klaus Briegleb. Deutscher Taschenbuch Verlag. 78 Euro.
heine vs. broder – „Aber das wäre so, als würde man dem lieben Gott, der das Paradies gepflanzt hat, vorwerfen, nun müsse man immerzu das Unkraut jäten.“
–> auch nicht schlecht „treffend verglichen“, mein herr! ;)