Am letzten Freitag fand im Societätstheater, öffentlich, aber doch im kleinen Kreis, eine Diskussion zur Lage der Literatur in Dresden statt. Anlass war die Vorstellung einer Studie zur Literaturvermittlung in den fünf neuen Bundesländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die vom Netzwerk der Literaturhäuser in Auftrag gegeben worden war. Die Autoren der Studie sind Prof. Stephan Porombka und Kai Splittgerber von der für ihren Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus bekannten Uni Hildesheim. Einige Thesen ihres Vortrags:
- Die Literatur habe – verglichen mit anderen Sparten wie Theater, Musik und bildende Kunst – für die öffentliche Kulturförderung traditionell nur marginale Bedeutung. Ihr Anteil an den Kulturbudgets liege im Promillebereich. Dies gelte für Ost- wie für Westdeutschland.
- Da der Osten aber kaum über eine Verlags-, Sponsoren- oder Mäzenatenkultur verfüge, wirke sich diese chronische Unterfinanzierung in den neuen Bundesländern stärker aus.
- Angesichts rückläufiger oder bestenfalls stagnierender finanzieller Ausstattung herrsche in den – an sich durchaus vielfältigen – Institutionen der Literaturvermittlung trotz aller individuellen Anstrengungen generell eine Mentalität der Besitzstandswahrung. Dies führt nach Ansicht der Autoren oft auch zu einer inhaltlichen und formalen Stagnation. Neue Projekte würden von den alt eingessenen Institutionen meist mit Argwohn betrachtet und zumeist nur als Konkurrenten um Geld und Zuschauer wahrgenommen.
Der letzte Teil der Präsentation widmete sich dann speziell der literarischen Landschaft in Sachsen und besonders in Dresden. Hervorgehoben wurde der Sächsische Literaturrat als koordinierende Institution, die außergewöhnliche und erfolgreiche Privatinitiative des Kulturhauses Loschwitz und das Dresdner Literaturbüro, das öffentlich zwar vergleichsweise umfangreich gefördert werde, aber unter einem Mangel an geeigneten Räumlichkeiten und überregionaler Ausstrahlung leide. Insgesamt bleibe Dresden literarisch unter seinen Möglichkeiten.
Der Moderator der Diskussion, Dr. Reinhard G. Wittmann, Chef des Literaturhauses München, machte kein Hehl aus seiner Sympathie für die Idee eines Dresdner Literaturhauses. Bekanntlich sind derartige Initiativen in Dresden bislang am Widerstand der bestehenden Institutionen und mangelnder politischer Unterstützung gescheitert. Dr. Florian Höllerer, der Leiter des Literaturhauses Stuttgart, trat mit Hinweis auf eigene Erfahrungen einer in solchen Fällen immer wieder auftretenden Befürchtung entgegen: Das Torten-Modell von Literatur, nach dem nur eine bestimmte Menge an Geld und Zuschauern verteilt werden könne, sei falsch. Vielmehr habe die Geschichte des Literaturhauses Stuttgart gezeigt, dass alle Institutionen, auch die schon bestehenden und anfangs skeptischen, von einer Aufwertung der Literatur insgesamt profitiert hätten.
In der abschließenden Diskussion dominierten bei den Einheimischen dann aber doch eher die Bedenken. Die Gründung eines Literaturhauses bleibe mangels einer Aussicht auf zusätzliche öffentliche Geldmittel und ohne einheimische Sponsoren aussichtslos. Stattdessen solle die bestehende Breitenförderung literarischer Kleinprojekte fortgeführt und gesichert werden. Immerhin sprach sich niemand prinzipiell gegen die Idee eines Literaturhauses Dresden aus. Und einige der Anwesenden sparten nicht mit Sympathiebekundungen.
Was der Initiative zweifellos noch fehlt, sind öffentliche Personen, die kulturelles Prestige, politische Macht oder schlicht und einfach Geld einbringen könnten. Mir scheint die Idee eines Literaturhauses, das als Zentrum literarischen Lebens in Dresden eine Heimat für schon bestehende Institutionen, für Verbände und Autoren, aber besonders für die nicht gerade literarisch überversorgten Dresdner sein könnte, jedenfalls sehr reizvoll und aller Unterstützung wert.
Und ich dachte, es würde ausreichen, per Internetauftritt global LeserInnen zu gewinnen, um schnellstmöglich unabhängig(er) von elbtaler Zuständen zu werden. Es kann doch nicht der höchste Sinn eines Künstlerlebens sein, in der Stadtbibliothek unter Regionalia vertreten zu sein. Oder habe ich da etwas komplett falsch verstanden?
Beim Thema Literaturhaus geht es erst in zweiter Linie um die Autoren, schon gar nicht bloß um Lokalschriftsteller.
Der eigentliche Gewinner sollten die Dresdner sein, die endlich einen zentralen, atmosphärisch und räumlich passenden Veranstaltungsort für Lesungen aller Art bekämen, den es bisher in der Stadt so nicht gibt.
sehr gute zusammenfassung, danke! bin mal gespannt, wie und ob es weitergeht …
Und wieder etwas dazugelernt: Literaturhäuser sind Kinos für Hörbücher.
Andere Frage: Es finden jährlich in Dresden unzählige ‚Vorlesungen‘ in Buchläden, Bibliotheks-Filialen, Museen, Kulturzentren usw. statt – welchen Vorteil hätte also das Vorlesen an einer extra dafür ausgelegten Örtlichkeit, die sicherlich niemals groß genug sein kann, um die etablierten ‚Behelfsbühnen‘ zu ersetzen?
Ich weiß nicht, wie oft du selbst schon Gast so einer exotischen „Vorlesung“ gewesen bist – aber ich kann dir versichern, dass es in Dresden keineswegs „unzählige“ davon gibt. Sondern ziemlich wenige. Zum Beispiel weniger als halb so viele wie im ungefähr gleich großen Leipzig. Wem das wurscht ist, der wird sich natürlich auch nicht für ein Literaturhaus interessieren, aber die Idee richtet sich ja auch an Freunde der Literatur.
Und dass es nicht darum geht, die bestehenden Veranstaltungsorte zu ersetzen, sondern zu ergänzen, sollte doch aus dem Text oben schon klar geworden sein, oder?
Ich glaube mich daran zu erinnern, dass in Leipzig eine statistikverfälschende Buchmesse stattfindet. Jedenfalls kommt es doch ebenso darauf an, wer zur Lesung durch Dresden tourt.
Dass die Veranstaltungen in einem Literaturhaus die übrigen ersetzen, hab ich versehentlich so hingetippt. Man kann Lesungen in Buchläden ja nicht verbieten.
Was ich meinte: Ein Literaturhaus wäre vermutlich tatsächlich eine zusätzliche Location neben den aufgezählten, die im schlechtesten Fall nur Literatur-Nerds anzieht, weil bekanntere Autoren (der Gage wegen?) lieber im Haus des Buches auftreten.
Ich mag die Idee ja auch, dass mehr für die Vermittlung von Schriftkultur getan wird, aber stelle mir unter einem Literaturhaus wie gesagt einen Neubau mit Vorlesungssaal vor, welcher sonst zu nicht viel gut ist; ein Kino ohne Projektor sozusagen, welches sich nur für rund zweieinhalb Abendstunden täglich füllt.
Moment mal… Das „Metropolis“ steht doch zur Zeit leer.
Im Fall Leipzig habe ich die Buchmesse schon ausgeklammert, sonst sähe das Verhältnis noch ungleicher aus.
Ansonsten verstehe ich eigentlich deine Bedenken nicht so richtig. Schon mit einer bescheidenen finanziellen Förderung durch Stadt/Land/Stiftungen/Sponsoren wäre es problemlos möglich, auch renommierte Autoren einzuladen. Das Programm des Thalia (ehemals „Haus des Buches“) kann doch nicht der Maßstab sein. Ein Literaturhaus könnte eine eigene Programmatik entwickeln, die anspruchsvolle Autoren einlädt, aber auch populäre Lesungen anbietet.
„aber stelle mir unter einem Literaturhaus wie gesagt einen Neubau mit Vorlesungssaal vor, welcher sonst zu nicht viel gut ist; ein Kino ohne Projektor sozusagen, welches sich nur für rund zweieinhalb Abendstunden täglich füllt.“ Da komme ich nun gar nicht mehr mit. Du wirfst einem Literaturhaus vor, dass es nicht auch noch ein Kino sein kann? Natürlich wäre ein Literaturhaus nur für Lesungen da. In der Semperoper gibts auch kein Sportangeln und im Schauspielhaus keine Töpferkurse. (Wobei auch tagsüber in einem Literaturhaus Leben herrschen könnte, z.B. durch Veranstaltungen für Schüler, durch Büros für Autoren etc.)
„die im schlechtesten Fall nur Literatur-Nerds anzieht“ Womit ich meine, dass dort dann zu Gläubigen gepredigt wird, statt NeuleserInnen zu gewinnen. Zumindest halte ich die Bezeichnung Literaturhaus für elitär, abschreckend und schlechte PR.
„Du wirfst einem Literaturhaus vor, dass es nicht auch noch ein Kino sein kann?“ – Jein. Aber die potentielle Nutzlosigkeit für Veranstaltungen mit ähnlicher Sender-Empfänger-Anordnung – angefangen mit Dia-Abenden – und den dadurch bedingten Leerstand fände ich schade.
Z.B. finden in TU-Hörsälen tagsüber echte Vorlesungen statt, während sie abends, nachts und wochenends durchaus für Diavorträge oder eben Autorenlesungen taugen. Sie sind für mich nützliche Mehrzweckhallen, obwohl dort angeln zwecklos und Fahrrad-Trial verboten ist.
Hm. Natürlich müsste das Ziel sein, auch neue Menschen an Literatur heranzuführen, keine Frage.
Was am schlichten Wort „Literaturhaus“ so schlimm sein soll, verstehe ich nicht. Es gibt – wie du oben auf der Seite des Netzwerkes der Literaturhäuser sehen kannst – zahlreiche Literaturhäuser in Deutschland, die unter diesem Namen sehr erfolgreich arbeiten. Wie soll’s denn sonst den PR zuliebe heißen? „Literature-Point“? „Poetry-Center“? Nee, oder?
Die Uraufführung des „Dresden“-Films war übrigens im Schauspielhaus. Soviel dazu.
Ich glaub, du willst mich bloß ärgern. Natürlich spricht nichts dagegen, dass man auch mal einen Film in einem Literaturhaus zeigen könnte. Oder Musik einbinden. Oder eine Ausstellung zeigen. Oder oder oder. Aber das versteht sich doch alles von selbst.
Besser noch: Textbegegnungsstätte ;)
Wenn nichts gegen alternative Verwendungszwecke spricht, warum sollte dann die imho ausgrenzende Bezeichnung ‚Literaturhaus‘ überm Eingang stehen?
‚Kulturhaus‘ (Loschwitz) wirkt offener. Es sollte wohl in jedem Viertel eins geben. Am besten in Kombination mit der jeweiligen Stadtteilbibliothek und themenbezogenen Kursangeboten.
Aber dann wären wir ja wieder bei Kulturzentren und Stadtteilhäusern, die es tatsächlich in fast jedem Viertel schon gibt.
Wie gesagt, in der Idee (mehr ist es ja noch nicht) geht es dagegen darum, die Literatur im öffentlichen Bewusstsein dadurch aufzuwerten, dass man ein Haus schafft, das sich eben hauptsächlich der Literatur widmet. Wie immer es dann heißt. Das ist alles.
Es ist ja okay, wenn du denkst, dass es so etwas gar nicht braucht. Aber ich glaube, die Diskussion hier führt uns nicht weiter. Und ich muss auch mal wieder an die Arbeit!
„Aber dann wären wir ja wieder bei Kulturzentren und Stadtteilhäusern, die es tatsächlich in fast jedem Viertel schon gibt.“
Und die im Unterschied zu einem zentralen Gebäude den Vorteil haben, dass man nicht erst quer durch die Stadt fahren muss, um eine Dosis Lesekultur abzubekommen. (Stichwort Umweltbilanz.)
Meine Argumentation basiert aber sowieso auf persönlichen Vorlieben.
Mich erschlagen nämlich schon die Veranstaltungstipps, die im „Dresdner Das Kulturmagazin“ aufgelistet sind. (Und von denen so einige zeitgleich stattfinden.)
Hinzu kommt, dass ich trotzdem nicht jeden Vortrag, jede Vernissage oder Lesung, jeden Reisekneipe-Diavortrag oder Independentfilm, und jedes Konzert besuchen will. Denn selbst, wenn ich’s mir nur zeitlich und finanziell leisten könnte, würde ich vermutlich dennoch nicht zu jeder interessanten Veranstaltung rennen, weil zuhause ein volles to-read-Buchregal steht, ausgeliehene DVDs herumliegen, und das Internet lockt.
Lösungsansatz: Zumindest die steuergeld-unterstützten Veranstaltungen müssen allesamt an zentralen Stellen (z.B. per RSS-Feed und auf Wartehäusschen-Plakaten) bekanntgegeben, live mitgeschnitten, und schnellstmöglich online gestellt werden.