Buchbefehl!

Viele Bücher werden veröffentlicht. Kaum ein Drittel ist es wert, dass man überhaupt nur einen Gedanken daran verschwenden sollte, sich vorzustellen, dass irgendjemand sich jemanden vorstellen könnte, der nur annähernd auf die Idee kommen könnte, ein Buch zu schreiben, dass es verdient, von jemandem gelesen zu werden, der so ist wie wir.

Jeder Koch schreibt ein Buch, jeder Anwalt, jeder Hausarzt, jeder Homöopath, jede Sekretärin schreibt eins, jeder Schüler respektive Schülerin. Sich vorzustellen, wie diese Bücher heißen würden, würde allein schon wiederum ein ganzes Buch füllen, es ist ein Perpetuum Mobile des Grauens und der Leidtragende ist in den meisten Fällen der Kunde, welcher stundenlang im Buchladen seines Vertrauens auf und abgeht und am Ende statt des avantgardistischen russischen Gedichtbandes doch wieder den neongrellen Billigbestseller irgend eines Comedians mitnimmt.

Jeder Comedian schreibt ein Buch und jeder zweite Gagschreiber tut das ebenso. Heraus kommt eine Fülle von Gebrauchsliteratur, die man mal eben auf dem Bahnhofsklo liegen lassen kann, wenn man nichts anderes dabei hat, Bücher mit nichts sagenden Titeln wie „Jetzt wird’s deftig!“, „Wau, mein Hund brennt!“ oder „Vollidiot“.

Wenn Heinz Strunk ein Buch über Comedians schreibt, dann heißt das anders. Er hat ein Gespür für Buchtitel, über die der gewöhnliche Leser erst einmal stolpert, um sie dann meistens schnell wieder zu vergessen. „Fleisch ist mein Gemüse“ hieß sein erstes, sein jetziges „Die Zunge Europas“, das nächste wird wohl „Der Hafen der Liebe“ heißen oder „Die phänotypische Ausprägung von Wurstmasse“.

Was sein erstes und sein neuestes Werk gemein haben: Sie sind gut.

Man kann und darf nicht verschweigen, dass der wortverliebte, spinnerte Plauderton sich durch sein gesamtes Oeuvre zieht. Atemberaubende Formulierungen, gepaart mit wahnwitzigen Bonmots führen bei Heinz Strunk kein Schattendasein. Es ist wie mit Fortsetzungen von einmal lieb gewordenen Filmen: Man ist sehr glücklich, wenn man die alten Helden in einer neuen Geschichte noch mal bewundern kann. Zwar wird die Geschichte diesmal vom erfolg-und sexlosen Gagschreiber Markus Erdmann und nicht vom erfolg-und sexlosen Tanzmusiker Strunk erzählt, aber die Vokabeln sind die gleichen.

Alle anderen ja, ich nein.

Undundundoderoderoder. Kaskadenhafte Brainstorming-Wortakkumulationen, spektakuläre Beschreibung von Alltagsvorgängen, all das findet wie gewohnt statt, nur wird man nicht müde zu rufen: Ja, mehr, ich brauche mehr.

Es ist meist die Hamburger Schnauze und die Lust am Fabulieren, die sich hier glänzend ergänzen. Norddeutsche Gelassenheit gepaart mit der hysterischen Routine eines seit Jahrzehnten Trash-Erfahrenen, der einerseits keine Angst davor hat, alte Muster wieder zu verwenden und andererseits die neuen nicht scheut. Diese Mélange gebiert Sätze wie:

Hasen sind fast so dumm wie Pferde, zu nichts zu gebrauchen. Hase – Tier im Off.

Oder

Sie unterhielt sich mit einem Typen, der aussah wie ein guter Typ.

Das ist Sprachslapstick auf höchster Stufe. Außerdem findet sich während der mit Abschweifungen mythenmetzschen Ausmaßes (siehe W.Moers) gespickten Geschichte die eine oder andere gut gesetzte Medienkritik, der eine oder andere selbstironische Kommentar, köstlich seine Einschätzung der Comedy-Szene, herrlich die imaginäre Feuilletonkritik des ersten eigenen Buches des Protagonisten (Der Text versucht immer wieder Luft zu holen, stürzt jedoch aufgrund akuten Sauerstoffmangels nach wenigen Schnappatmern ab in wattiertes Gebrabbel.)

Heinz Strunk wurde, wie schon vor ihm Kollege Rocko Schamoni vom Bahn-Magazin mobil gefeatured, vielmehr wurde ein Teil eines Kapitels abgedruckt, jener nämlich, wo der Protagonist von einem Bewerbungsgespräch aus Berlin zurück nach Hamburg fährt. Literatur ist eben die beste Werbung, herrlich, wie da alles so plastisch beschrieben wird, die Familie im Bordrestaurant, das alternde Pärchen, das Zuggespräch, alles mit diesem Strunk-typischen auto-harlekinesken Tonfall. Selbstironisch ist die Bahn allerdings nicht. Wie soll man sonst den Umstand deuten, dass der Teil des Kapitels, in dem sich der Autor über den zerknitterten Ober lustig macht und über die Maniriertheit der Bahnküche („Dialog vom Lachs und Sauerampfer de la Chanson“ oder so), weg gelassen wurde? Ich kann dem Redaktionsteam allerdings keinen Vorwurf machen. Das Format mobil gewinnt langsam an Profil, schon längst hat man das Gefühl, dass einen die Themen, die sie besprechen, brennend interessieren. Und die Landschaften, die sie vorstellen, sind immer total toll. Und immer gibt es irgend ein Top-Angebot für Dresden und Umgebung (Dresden im Winter, Wandern in der Sächsischen Schweiz, Weinernte in Radebeul etc.). Nur einmal haben sie Tangermünde oder so was Anhaltinisches vorgestellt. Das interessiert ja nun wirklich keine Sau.

Heinz Strunk kennen auch noch nicht so viele wie sollten. Das muss sich ändern, deswegen kann man der deutschen Bahn trotz Zensur eigentlich nur Dank sagen, dass sie einen so tollen Autoren mal wie ä bissl hypen. Verdient hat er’s.

Heinz Strunk: Die Zunge Europas.

Rowohlt 2008, 320 Seiten.
19,90 €
ISBN-10: 3498063987
ISBN-13: 978-3498063986

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2 Kommentare

  1. bez. Udo: Jetzt verstehe ich so langsam, warum ich damals im Rezensionsseminar nur ne 2,7 hatte. Wenn der Befehl das Buch nicht schmackhaft macht, dann sage ich: Lest das Buch, vergesst Empfehlungen.

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