Es ist keine gute Idee, am 14. Februar mit dem Regionalexpress von Leipzig nach Dresden zu fahren. Das hätte man vorher wissen können, natürlich, aber manchmal wird man eben erst durch Erfahrung klug. Schon vor dem Bahnsteig macht sich ein Block von einhundert schwarz vermummten Gestalten bemerkbar. Polizisten in Kampfmontur bewachen die Türen des Zuges. Sind es Autonome oder Neonazis, die da auf die Reise zur Demonstration in die Landeshauptstadt warten? Man kann sich mittlerweile nicht mehr sicher sein, denn die Rechtsradikalen haben in den letzten Jahren ihr Äußeres immer mehr den Gegnern angepasst, tragen inzwischen sogar Palästinensertücher und Che-Guevara-Shirts. Aber ein Blick in die dummen und hässlichen [gestrichen wegen umgekehrtem Rassismus] Gesichter bestätigt die erste Vermutung: Das sind Nazis. Die Polizisten werden diese Horde doch wohl wenigstens in ein separates Abteil sperren? Aber wir werden genauso unangenehm überrascht wie die Gruppe russischer Kinder, die neben uns Platz genommen hat. Mit einem Schlag stürmt die Truppe den Zug, begleitet nur von einem Häufchen Ordnungshüter. Das Verhältnis beträgt ungefähr einhundert zu zehn. Die nächsten zwei Stunden verbringen wir in hautnahem Kontakt mit Menschen, die man sonst gern einige Meilen von sich entfernt wüsste. Diese ungewaschenen Typen machen nicht nur die Luft schlechter. Das Erschreckende aber, das sich in diesen zwei Stunden ereignet, ist gerade, dass sich nichts ereignet. Das sind keine betrunkenen Schläger mehr, wie sie in den Neunzigern die Züge unsicher machten. Nein, es sind hoch disziplinierte, gut organisierte und erschreckend normale Faschisten. Erst gegen Ende der Fahrt macht sich ihre Gesinnung bemerkbar, denn einer ihrer Anführer, dem die niederen Kameraden an den Lippen hängen, nutzt die Gelegenheit zur ideologischen Schulung. Charlotte Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, sehe immer aus, „als wäre sie gerade mit dem Besen gelandet“. Eine ganz eigene Theorie hat sich der kleine Führer zurecht gelegt: „Ich bin mir sicher, Charlotte Knobloch und Angela Merkel sind ein und dieselbe Person. Oder habt ihr die beiden schon einmal zusammen gesehen?“ Dann geht es zum Nahostkonflikt. Das Mitleid des Nationalsozialisten gilt den Palästinensern im Gaza-Streifen. Deren Raketenabschüsse seien kein Terror, sondern nur Selbstverteidigung gegen die Übermacht die Juden. Er verweist auf die berüchtigte antisemitische Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“, um nachzuweisen, dass der Zionismus die Errichtung Israels lange geplant habe. Der Holocaust sei nur ein von den Juden eingefädelter Vorwand gewesen. Man müsse ja nur bei Wikipedia die Einwohnerzahl Israels nachschlagen und könne sehen, dass die angeblich ermordeten Juden heute dort lebten. Warum keiner eingeschritten ist, fragen Sie? Zivilcourage ist ein schönes Wort, es spricht sich am Frühstückstisch aber sehr viel leichter aus als in solchen Situationen. Wir drängeln uns in Coswig aus dem Zug, verfolgt vom selbstgewissen Grinsen der Stärkeren. Wenig später hält am benachbarten Gleis eine Regionalbahn aus Elsterwerda, wieder ergießen sich hundert schwarz vermummte junge Menschen ins Freie. Die geben sich mit „Antifascista“-Rufen aber bald zu erkennen, rennen über die Gleise und nehmen mit uns die S-Bahn zum Bahnhof Dresden-Neustadt. Obwohl ich keine vorbehaltlose Sympathie empfinde, bin ich doch sehr erleichtert. Das gilt nicht für einige Fans von Dynamo Dresden, denen am Tag zuvor wegen des absehbaren Chaos am Hauptbahnhof in der Presse empfohlen worden war, die S-Bahn zu nehmen. Ihre Sympathie mit den Antifaschisten hält sich in Grenzen: „Dieses Zeckenpack! Was sich in Deutschland alles herumreiben darf!“, brüllt ein Fan in schwarz-gelb zu einem anderen Schlachtenbummler, „Die sollten diese ganzen Demonstrationen alle verbieten!“ Der Mann dürfte die Meinung der meisten Dresdner ausgesprochen haben. Demokraten trafen wir auf unserer Reise keine.
Ungewaschen und hässlich? Hmm. Versuchst du jetzt im Gegenzug die Verbalattacken rechter Spießbürger zu übernehmen? Von den Nazis lernen heißt siegen lernen? Ansonsten kann ich natürlich mitfühlen. Kenne dieses äußerst unangenehme Gefühl sehr genau.
Hm. Dass die Jungs den Waggon mit dem Duft ungewaschener Socken befüllten, werden alle anwesenden Nasen bezeugen können. Den Vorwurf des umgekehrten Rassismus muss ich mir allerdings wohl gefallen lassen. Das geht wohl auf die Rechnung des Affekts.