Es gibt – jeder reime sich selbst zusammen, weshalb – ziemlich wenig gute Komödien in der deutschen Literatur. Wenn man’s genau bedenkt, eigentlich nur eine Handvoll. Die schönste unter ihnen dünkt mir Georg Büchners Leonce und Lena – wobei ich meine Befangenheit eingestehen muss: Mit Georg Büchner im Allgemeinen und dem Lustspiel im Besonderen habe ich mich während meines Studiums über einige Jahre beschäftigt. Und das Schönste: Ich lese es immer noch gern.
Wer das Lustspiel kennen lernen oder es endlich mal auf der Bühne sehen will, dem sei die aktuelle Aufführung des Staatsschauspiels im Kleinen Haus ans Herz gelegt. Der jungen Regisseurin Sabine Auf der Heyde gelingt es, ohne größere Textänderungen oder -umstellungen eine eigene Interpretation von Leonce und Lena zu inszenieren, nicht als plumpe Aktualisierung, sondern in einem Sinne, der dem ursprünglichen Gehalt des Stücks nahe kommt.
Worum geht’s? Die Handlung ist aus dem Märchen wohlbekannt: Ein Prinz und eine Prinzessin sollen verheiratet werden, haben keine Lust dazu, fliehen von ihren Höfen, treffen sich auf dem Weg nach Süden, verlieben sich und heiraten so versehentlich am Ende doch. Aber es ist natürlich nicht diese Handlung, auf die es ankommt. Der politische Agitator und realistische Dramatiker Büchner hat in seinem einzigen Lustspiel die Epoche der Restauration, eine Zeit wie Sirup ohne Aussicht auf Revolution, nur indirekt auf die Bühne gebracht. Prinz Leonce und Prinzessin Lena erscheinen wie Figuren der romantischen Literatur der Zeit, wie Karikaturen der vor Langeweile melancholischen jungen Bürgerkinder der Epoche, die aber, indem sie sich beständig selbst inszenieren, zum Bewusstsein ihrer eignen Vergeblichkeit kommen. Das Stück selbst beschreibt denn nicht umsonst einen Kreislauf, der am Ende zu dem Resultat führt, dem die Helden eigentlich entfliehen wollten. Und als allerletzte Fluchtmöglichkeit bleibt nur die höchst zweifelhafte Kopfgeburt der Utopie.
Die Regisseurin versetzt die Figuren in eine – auch bühnenbildnerisch sehr gelungene – heruntergekomme Zirkusmanege, wo Leonce und Lena, der sanguinische Clown Valerio und der philosophisch-pathologische König Peter für ihre Nummern kein anderes Publikum haben als sich selbst. Durch Zusammenlegung von Nebenfiguren gewinnen auch einige im Originaltext eigentlich blasse Gestalten an Kontur. Mit sehr schönen Einfällen betont die Regie die Momente des Morbiden und des Grausamen, die in Büchners Stück allgegenwärtig sind. Deshalb gibt es weniger zu lachen, als man von einem Lustspiel erwarten könnte. Aber glücklicherweise wird auch nicht der Fehler begangen, das ambivalente Stück – wie zum Beispiel im schlechten Libretto zu Paul Dessaus Oper – zum politisch korrekten Sozialdrama umzudrechseln, in dem es nichts zu lachen geben darf. Erfreulicherweise hat sich die Regisseurin auch entschieden, das offene Ende des Lustspiels nicht zu vereindeutigen, sondern es so zu lassen, wie Büchner es geschrieben hat: mehrdeutig, unbefriedigend, rätselhaft.
Wer das Stück nicht kennt, kann es in dieser Inszenierung kennen lernen. Wer es kennt, kann es neu kennen lernen. Die nächsten Aufführungen sind am 05. und 24. März und am 02. und 07. April.