Eben durfte ich dank des Deutschlandfunks Ohrenzeuge der öffentlichen Diskussion werden, die in Dresden jüngst zu dem Plan stattfand, ein neues Gewandhaus am Neumarkt, dem Platz vor der Frauenkirche, zu bauen. Herrlich! Manchmal wundere ich mich selbst, wie nur unsere Rubrik „Dresden ist schön“ laufend so anschwellen kann, aber die Dresdner Kleingeistigkeit lässt einem einfach keine Wahl.
Angetreten waren die zwei Architekten, die den – einstimmig zum Sieger erklärten – Entwurf für ein modernes (!) Gewandhaus, in dem später moderne (!) Kunst gezeigt werden soll, vor Publikum verteidigen mussten. Ob ich den ein wenig sterilen Kubus mit breiten Fensterbändern sehr gelungen finde, weiß ich selbst nicht so recht. Aber darum ging es in der Diskussion auch gar nicht. Vielmehr wurden die Architekten und Vertreter der Stadt von den Modernitätsverweigerern und früh verkalkten, pardon versandsteinten Barock-Fetischisten, die sich in der Sekte Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. zusammengeschlossen haben, sehr wirkungsvoll beleidigt und ausgebuht. Einer ihrer Vertreter rief es unter großem Beifall gleich ganz offen aus: „Wir wollen keine moderne Architektur am Neumarkt!“
Gerade wenn man innerhalb der studentischen Parallelgesellschaft lebt, meint man oft, „moderne“ Kunst sei doch heute längst keine Provokation mehr wie noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts, in der man brave Bürger noch mit grünen Nasen oder signierten Pissoiren schocken konnte. Aber weit gefehlt! Man hat die Provokationen der bildenden Kunst und der Literatur nur einfach gut in klimatisierten Museen und dicken Büchern versteckt. Stellt man moderne Gestaltung hingegen in den öffentlichen Raum, dann kann man plötzlich den wild gewordenen Kleinbürger wieder in freier Wildbahn erleben! Die Zerstörung abstrakter Skulpturen oder Angriffe auf Kunstaktionen liefern laufend Beispiele. Und da gerade Dresden den Beginn der kulturellen Moderne bisher konsequent verweigert hat, sind die Reaktionen hier eben besonders heftig.
Natürlich wird ein modernes Gewandhaus nichts an der Mentalität der Dresdner ändern. Überhaupt ist die „moderne“ Kunst, deren Abgrenzung schon für sich schwierig ist, keineswegs automatisch auch gesellschaftlich oder politisch progressiv. Oft war’s sogar umgekehrt. Aber der Dresdner Kampf gegen moderne Architektur, der jeden Neubau in der Stadt seit 1989 begleitet hat, ist Ausdruck der mentalen Retardation eines großen Teils der Bewohner dieser Stadt.