Überraschend starb jüngst Christopher Hitchens, einer der renommiertesten Journalisten des englischen Sprachraums. Während er, ohne es zu ahnen, bereits unheilbar an Krebs erkrankt war, schrieb er seine Memoiren, die inzwischen unter dem Titel Hitch-22 (deutsch als: The Hitch) erschienen sind. In Großbritannien und den USA war Hitchens eine Berühmtheit. Das verdankte er nicht zuletzt seinen Fernsehauftritten. In Diskussionen gelang es Hitchens mit rhetorischer Brillanz, politische Gegner auf demütigende Weise buchstäblich zu zerlegen. Wer sich Ausschnitte solcher Sendungen im Netz anschaut, wird die Selbstverliebtheit des gebürtigen Briten, der später die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, wohl zunächst eher unsympathisch finden. Doch seine außergewöhnliche Intelligenz, Welterfahrung und literarische Bildung gaben ihm allen Grund zur Eitelkeit, die zudem durch eine andere Eigenschaft ausgeglichen wurde, die wenigstens in Deutschland öffentlichen Personen meist abgeht: die Fähigkeit zur Selbstironie.
Über Jahrzehnte führte Christopher Hitchens ein Doppelleben: Zum einen reiste er als Reporter um die Welt und schrieb als Essayist auch über kulturelle Themen. Andererseits engagierte er sich seit seiner Jugend in diversen sozialistischen Gruppierungen. In der Tradition von Trotzki und Rosa Luxemburg sah er sich selbst als Teil jener „Revolution in der Revolution“, die nicht nur den Kapitalismus, sondern auch autoritäre und nationalistische Tendenzen innerhalb der kommunistischen Bewegung bekämpfte. Größere politische Bedeutung erlangte er jedoch erst durch seinen Bruch mit der traditionellen Linken, den er selbst freilich als Konsequenz verstand. Anlass waren die Terroranschläge von 2001 und der anschließende Krieg gegen den Irak, den Hitchens – wie damals auch ein kleiner Teil der deutschen Linken – als Kampf gegen einen faschistischen Diktator begrüßte. Den weltweiten militanten Islamismus entschuldigte er nicht wie viele seiner früheren Weggefährten als Hilferuf einer angeblich durch amerikanisch-israelischen Imperialismus unterjochten arabischen Welt. Er nannte ihn vielmehr „Faschismus mit islamischem Antlitz“. Seine alten Freunde und neuen Feinde zählten ihn daher bald mit fragwürdigem Recht zu den „Neokonservativen“. Tatsächlich verwandelte sich Hitchens aber vom Häretiker der Linken keineswegs zum rechten Konvertiten. Seinen persönlichen Eigensinn stellte er immer wieder durch überraschende polemische Angriffe in alle Richtungen unter Beweis, so etwa gegen Henry Kissinger, Mutter Teresa (!) und Bill Clinton.
In Deutschland bekannt wurde Hitchens erst vor einigen Jahren durch die Übersetzung seines Buches god is not Great, in dem er weniger aus wissenschaftlicher als politischer und ästhetischer Perspektive mit der Religion abrechnete. Nicht zuletzt seinetwegen sprach Der Spiegel damals von einem vermeintlichen „Kreuzzug der neuen Atheisten“. Hitchens selbst bezeichnete sich selbst gerne als „Anti-Theist“, um klarzustellen, dass er nicht nur an keinen Gott glauben könne, sondern auch nicht wolle. Die ununterbrochene Beaufsichtigung durch ein allwissendes und allmächtiges Wesen erschien ihm als totalitäre Zumutung, als „himmlisches Nordkorea“. Bisweilen musste man den Eindruck gewinnen, mit der Aggressivität seiner Religionskritik kompensiere er politische Enttäuschungen. Sah Marx in der Kritik der Religion nur den Anfang aller Kritik, so kehrte Hitchens am Ende der sozialistischen Hoffnungen zu ihr zurück und bürdete dem Glauben wohl allzu viel Schuld am Übel der Welt auf.
Der deutsche Leser, der Autobiografien im Stil von Bildungsromanen gewohnt ist, wird sich bei der Lektüre umstellen müssen: Hitchens‘ Memoiren erzählen vom seinem Leben und den Begegnungen mit prominenten Zeitgenossen nur exemplarisch und bruchstückhaft. Das kommt der literarischen Stärke des Autors entgegen, die in der pointierten Kurzform der Anekdote liegt. Gelegentliche Längen und überflüssiges Namedropping gibt es allerdings auch. Doch dann ebenso wieder berührende und beinahe poetische Kapitel, so über die Geschichte seiner Eltern oder die späte Entdeckung der eigenen jüdischen Herkunft. Unterhaltsam ist das Buch jedenfalls so wie Hitchens Leben ereignisreich und abenteuerlich war: Wer sonst könnte zum Beispiel von sich behaupten, von Margaret Thatcher den Hintern versohlt bekommen zu haben oder dabei gewesen zu sein, als Bill Clinton einen Joint rauchte (aber nicht inhalierte)?
Noch ein Hinweis zum Schluss: Die Lektüre der englischen Fassung empfiehlt sich nur für Menschen, die im Besitz des Concise Oxford Dictionary sind.
Christopher Hitchens: Hitch-22. A memoir. Atlantic, Paperback Edition [mit neuem Vorwort] 2011.
Christopher Hitchens: The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Blessing, 2011.