Gestern Abend war ich zum ersten Mal zu Gast bei einer Veranstaltung der groß angelegten Reihe „Die Elektrifizierung der Gehirne„, die sich unter dem Motto „90 Jahre Roter Oktober“ mit der Avantgarde der frühen Sowjetunion beschäftigt. Gestern gab es eine Filmvorführung mit anschließender Diskussion in der Motorenhalle, einem „Projektzentrum für zeitgenössische Kunst“ gleich gegenüber des Kulturzentrums Riesa Efau in Friedrichstadt.
Gezeigt wurde einer der berühmten „Russenfilme“ der zwanziger und dreißiger Jahre, die die Filmkunst besonders durch die Technik der Montage und die gesellschaftspolitische Instrumentalisierung des Films revolutionierten. Entuziazm – Die Donbass-Sinfonie ist der erste Tonfilm des Regisseurs Dziga Vertov. Der „Inhalt“ des Films ist recht schlicht: Anlässlich des ersten Fünf-Jahres-Plans 1929 muss ein Planrückstand aufgeholt werden. Natürlich springt der Enthusiasmus der Planerfüllung unmittelbar auf die Komsomolzen über, die sich scharenweise als „Stoßarbeiter“ freiwillig an der Arbeitsfront melden und den Plan planmäßig übererfüllen.
Interessant ist der Film durch die technische Raffinesse, mit der er auch den Ton in die Montage einbezieht: Bilder von Kirchenbesuchern werden mit Bildern von Betrunkenen gemischt, Kirchenglocken mit dem Lallen der Säufer. Aber die (ausschließlich dokumentarischen) Bilder widerlegen oft unfreiwillig die heroische Botschaft. Die Idealisierung von Technik und Industrialisierung steht oft in merkwürdigem und sicherlich unfreiwilligem Kontrast zu den verhärmten und desillusionierten Gesichtern der wirklich arbeitenden Menschen. Man könnte fast wieder an die gutmütige Theorie des gutmütigen Siegfried Kracauer glauben, dass die eigentliche Aufgabe des Films die ehrliche Wiedergabe der Wirklichkeit sei. Es ist kein Zufall, dass spätere Filmpropagandisten der Realität eher misstraut und auf Inszenierungen zurückgegriffen haben.