Gestern Abend mache ich auf meinem Weg von Pieschen nach Strehlen einen kleinen Stopp in der Neustadt, da ich mir denke: Besuch doch mal den guten Stefan bei der Arbeit in seinem kleinen Spätshop in der Alaunstraße – da freut er sich bestimmt! Und was für ein Zufall: Kaum im Laden, erfahre ich, dass er an eben diesem Tage seinen schicksalsschwangeren 30. Geburtstag feiert! Desto mehr beeile ich mich, die versäumten Glückwünsche nachzuholen.
Aber jetzt ratet mal, welch ein Poem mir da auf Stefans 365-Gedichte-im-Jahr-Abreißkalender entgegenglotzt? Kann es Zufall sein – an einem solchen Tag? Kein anderes Gedicht steht da als Andreas Gryphius‘ Menschliches Elende:
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen.
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid.
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn;
Was nach uns kommen wird, wird uns in Grab nachziehn.
Was sag ich? wir vergehn, wie Rauch von starken Winden.
Seltsam, dass der Pessimismus die Alten anfällt. Das Gedicht ist geistiger Auswurf besonderer Qualität, ohne Zweifel. Aber solche Poeten sind selbst schon alte Schwärmer: „So ein Elend.“ Also so ein Gedicht würde mich nur zum „Abreißen hinreißen“. Weg, weg damit auf dem Weg des Lebens!
natürlich schreibt ein dichter in allen lebenslagen, aber es ist nicht immer nötig, ich glaube, in diesem fall hatte herr gryphius einfach einen kater, einen bööööösen kater!