Dresdens neuer Stadtschreiber: Ulrich Schacht

Gestern, im Konferenzsaal der Ostsächsischen Sparkasse am Dr.-Külz-Ring, wurde ausnahmsweise mal nicht über Cash Flow referiert, sondern der schönen Literatur gefrönt: Ulrich Schacht wurde in sein Amt als neuer Dresdner Stadtschreiber eingeführt und las die Erzählung, die ihm diese Berufung eingebracht hatte: Porträt eines venezianischen Mönches. Im Vorfeld hatte es eine recht kontroverse Debatte zum Thema gegeben, nachdem nicht nur die taz in einem Artikel auf die sehr konservative Ausrichtung des Schriftstellers verwiesen hatte. Außerdem wurde bekannt, dass er einen Artikel für die neurechte Zeitung Junge Freiheit verfasst hatte – über ein Gedicht von Gottfried Benn. Reflexartig hatten daraufhin einige Vertreter der Linken die Rücknahme des Titels gefordert, während die literarische Jury ihre Entscheidung verteidigte. Ich hatte bis dahin noch nie etwas von Herrn Schacht gehört, geschweige denn gelesen. Das konnte ich nun gestern nachholen.

Für Dresdner Verhältnisse waren überraschend viele Menschen bei dieser Lesung anwesend. Die Literatur geht den Bewohnern dieser Stadt normalerweise am Arsch vorbei und die Dresdner Stadtschreiber erwidern ebenso üblicherweise Gleiches mit Gleichem: Niemand in Dresden kennt den aktuellen Stadtschreiber und der Dresdner Stadtschreiber bemüht sich, in seiner Amtszeit möglichst selten in Dresden sein zu müssen. Diesmal war’s anders: Die literarische Lokalprominenz war fast vollzählig erschienen: Marcel Beyer, Michael G. Fritz, Norbert Weiß, Jens Wonneberger und viele andere mehr. Kennt Ihr nicht? Tja, siehe oben. Außerdem war auch das enfant terrible der sächsichen CDU, Heinz Eggert, da, der die Menge mit humorvollen Zwischenrufen begeisterte. Noch größeren humoristischen Erfolg hatte freilich die Rede des Vertreters der ostsächsischen Sparkasse, der bisweilen das Lyrische streifte. Der amtierende Bürgermeister Lutz Vogel gratulierte gewohnt eloquent.

Dann durfte Herr Schacht ans Mikrofon treten: Er dankte nochmals seinen Verteidigern und schimpfte ein wenig auf die Political Correctness, vermied aber schrille Töne wie die vorherige Beschimpfung seiner Kritiker als „Internet-Gestapo“ oder der Alt-68er als Menschen mit Stasi-Mentalität. Hauptziel seiner Mission, so konnte man Interviews entnehmen, sei die Re-Christianisierung Deutschlands und die Kritik an der allzu kosmopolitischen Moderne. Das merkte man auch seiner Erzählung an. Sprachlich und stilistisch gewandt erzählte er von einem Liebespaar in Venedig und spielte mit den bekannten Motiven von Leben und Tod in Venedig, aber nicht um eine der üblichen Dekadenz-Geschichten zu erzählen, sondern um immer wieder sanft, aber bestimmt auf die rettende Kraft des Glaubens zu verweisen. Die überbordenden gelehrten Anspielungen schmeckten arg nach Baedeker, mangels echter Handlung wurde die sehr lange Geschichte am Ende ermüdend, sodass ein befreiendes Gelächter ausbrach, als der Autor bemerkte, dass er vergessen hatte, die letzte Seite mitzunehmen. Gut, dass eine Frau vom Verlag einsprang und zufällig gerade das Buch, das eben mit der Geschichte erschienen war, zur Hand hatte.

Ich möchte mir kein abschließendes Urteil über die literarische Qualität oder die politische Ausrichtung des Autors anmaßen. Eine Stadt wie Dresden sollte auch einen konservativen Schreiber aushalten. Unschön fände ich es hingegen, wenn – wie sich im Dank des Autors abzeichnete – Dresden gerade für seine (nicht nur architektonische) Modernitätsverweigerung von der – meiner Meinung nach – falschen Seite Lob erhalten würde. Ich denke, dass es die Aufgabe eines aufgeklärten Schriftstellers (jetzt mal ohne Ironie, auch wenn’s schwer fällt …) sein sollte, gegen Religion, Nationalismus und den drögen Kulturpessimismus des Früher-war-alles-besser anzuschreiben. Punkt.

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5 Kommentare

  1. Ich kannte Herrn Schacht bis heute auch nicht und ich kenne auch all die andern angeblichen Dresdner Schriftsteller nicht, die gestern da waren (Ich frage mich, was die den ganzen Tag machen, dass die keiner kennt). Aber nach lesen deines Artikels bin ich davon überzeugt, dass noch kein Stadtschreiber so sehr ins erzkonservative Dresden gepasst hat, wie dieser Mann. Das zeigen auch die Zuschauerzahlen.

    Gülz (Dichter)

  2. Mag sein, daß ich Schacht schon mag, weil ich eine ähnliche Vita habe. Zwar ging der Krug des DDR-Knasts knapp an mir vorbei, aber in den 80ern waren eigentlich fast alle meiner Freunde Ex-DDR-Knastis. Von der Freiheit, nach der wir in den 60ern schielten, war schon in den 80ern schon nicht mehr viel übrig und seit der Wiedervereinigung wächst die Gesinnungsdiktatur in dem Maße wie das Volksvermögen privatisiert wird. Die Stimmung in deutschen Landen ist schlecht, aber Abhilfe können sich die meisten nicht vorstellen. Da ist Schacht weiter, er weiß die Zukunft nur aus dem Glauben kommen kann, das Problem der Moderne ist ein religiöses. Daß man solche Ansichten unter NS-Verdacht stellt, ist billig und wird auch auf Dauer nicht mehr funktionieren.

  3. Sehr geehrter Herr Lammla,

    Was Ihren letzten Satz anbelangt, den möchte ich ebenfalls unterstreichen. Sogar doppelt.

    Ich finde aber Herrn Schachts Ansatz, dass die Zukunft nur aus dem Glauben kommen kann, höchst problematisch. Das könnte eine Gegenaufklärung einleiten, die wir absolut nicht gebrauchen können und auch schon mehrfach mit sehr unangenehmen Folgen in der Geschichte hatten. Wer Gott nur in Krisenzeiten etwas abgewinnen kann, der scheint da irgendwas in der Bibel nicht richtig verstanden zu haben. Das ist dann eigentlich kein Glaube mehr, sondern nur eine Ersatzhandlung. Da kann ich genausogut auch Drogen nehmen.

    Gülz (Dichter)

  4. Sehr geehrter Herr Gülz,

    ich muß Ihnen leider widersprechen. Es geht hier nicht um temporäre Krisen. Es geht auch nicht nur um die totalitären Zuspitzungen der Moderne, sondern um die Moderne insgesamt, spätestens seit 1789, im Grunde schon seit dem Goldrausch nach der Entdeckung Amerikas. Eine Gesellschaft, die auf Dauer und Gleichgewicht bedacht ist wie das Mittelalter, bedarf eines transzendentalen Fundaments, das allgemein akzeptiert wird. Sie brauchen doch nur aus dem Haus zu treten, um im Straßenverkehr zu erkennen, daß wir in einem infernalischen Zeitalter leben. Dabei ist das Automobil noch nicht einmal das ärgste, ein Flughafen, ich habe zum Glück noch nie einen betreten, erscheint mir als eine Art innerster Höllenkreis. Die Leute bewegen sich in elektronischen Klangblasen, das Fehlen von Elektrizität erscheint als das größte Unheil. Dabei fühlt jeder Unvoreingenommene, daß die ganze Technik nichts als eine gigantische Ausflucht ist – vor dem Leben, vor der Poesie und vor Gott. Die Leute wollen Versprechungen und Bequemlichkeit – was ist der Teufel, wenn nicht dies?

    Der Herr erbarme sich.
    Ihr Uwe Lammla

  5. Der Stadtschreiber von 2007, Ulrich Schacht, kommt nach Dresden und liest am 16. März 2011 hier sowie am 17.März 2011 in Tharandt.

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