Jüngst machte ich mich auf ins Zentrum Berlins, genannt: Mitte, wo in einer gewissen Z-Bar Thomas Kapielski sein neues Buch Neue Sezessionistische Heizkörperverkleidungen vorzustellen sich anheischig gemacht hatte. Wie überrascht war ich, mich als Jüngsten im Raume wiederzufinden! Denn die engen Stuhlreihen waren bepflanzt fast nur mit älteren Herrschaften, garniert durch einige Verrückte. Weiß denn die Jugend nichts von der Poesie, die aus diesem Manne bricht? Desto dringlicher scheint’s, hier mal einen Hinweis unterzubringen:
Der Künstler und Musiker Thomas Kapielski ward als Autor einem größeren Publikum so richtig bekannt erst durch seine Gottesbeweise, die – sofern dies Land zur Vernunft kommt – man einmal zu den Klassikern der autobiografischen Literatur zählen wird. Handelt es sich bei diesen Gottesbeweisen um tragikomische Geschichten aus dem Leben des Autors, so enthalten seine anderen Werke zumeist Texte, die man, wenn es denn schon solcherlei Kategorien braucht, am besten als Essays, Glossen und Aphorismen charakterisieren kann. Im aktuellen Band Neue Sezessionistische Heizkörperverkleidungen hat Kapielski seinen eigentümlichen Stil – eine Mischung aus Alltagspoesie, philosophischer Selbstreflexion und Klassikerzitaten, vorzugsweise aus Altgriechisch und Mittellatein – noch weiter verdichtet, gelegentlich über die Grenzen der Verständlichkeit hinaus. Auch der Alterskonservatismus des Autors ist wieder spürbar, wenngleich er subtiler auftritt als im Vorgängerband Mischwald. Manchmal milde, manchmal bissig sendet er Pfeile der Mahnung und des Spottes auf Vegetarier und Ökologen, Atheisten und Sozialisten. Nicht selten muss man Treffer einräumen, siehe zum Beispiel:
Die derzeit gängige literarische Rechtfertigung des Müßiggangs und das hitzige Bekenntnis zum Grundeinkommen erstaunen weiter nicht; sie sind der Nutzlosigkeit und Sorge geschuldet, die auf die schwellende Masse an Hochschülern einbricht.
Am schönsten aber sind jene Passagen, in denen der Dichter von seinem Ringen mit dem Glauben erzählt. Dem Atheismus abhold, aber auch dem Leid der Welt gegenüber klarsichtig, bescheidet sich Kapielski mit einer gläubigen Skepsis, die nicht zu verstehen vorgibt, aber Ahnungen zulässt:
Da ich ohnehin nichts bis auf den Grund begreifen kann, sitze ich öfters in Heiterkeit nur so da und schmunzele über die Geheimnisse der Welt und lasse den Dingen ihren Lauf. Dann winken sie mir heimlich!
Ein Vertreter solch gläubiger Skepsis war auch Michel de Montaigne, der Erfinder der Essais, mit dem man Thomas Kapielski in einem Satz vereinigen darf, ja sogar muss.
Thomas Kapielski: Neue Sezessionistische Heizkörperverkleidungen. Berlin: Suhrkamp, 2012, 214 Seiten, 14 Euro.
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