Merkwürdig: Seit zehn Jahren liegt das Gute so nah, nun war ich zum ersten Mal in Prag. Ein Wochenende der viel zu seltenen Flucht aus Dresden. Schon die Strecke ist eine einzige Freude: an felsigen Ufern immer entlang der Elbe, dann Moldau geht es hinein ins böhmische Land. So ziemlich das Gegenteil der kosmischen Ödnis zwischen Dresden und Berlin, die ich sonst immer ertrage. Prag ist eine Stadt, die mit ihrer Schönheit nicht geizt, sondern den Besucher auf den ersten Blick bezaubert. Von Kriegszerstörungen fast völlig verschont, zeigt sich eine kompakte Großstadt, kein stellenweise wieder bebautes Trümmerfeld wie Dresden. Fernhalten muss man sich allerdings möglichst von der Touristenschneise (Wenzelsplatz – Altstädter Ring – Karlsbrücke – Hradschin), wo die Besucher aus aller Welt eine Ameisenstraße mit Schneckentempo bilden. Aber schon ein paar Straßen weiter kann man aufatmen. Die hügelige Landschaft ermöglicht allerorten wunderbare Blicke hinab auf die Stadt. Bemerkenswert auch: Die verschiedenen Viertel der Innenstadt sind alle belebt und sehenswert, ganz anders als in Dresden, wo jenseits der einzigen Neustadt (na gut, mit Abstrichen vielleicht noch Loschwitz) sich nur ein Friedhof an den anderen reiht. Sehr gut wohnt man übrigens in Žižkov, einem alten Arbeiterviertel, zentrumsnah, aber erschwinglich und eine rauchig-süffige Pivnice (Bierbar) an der nächsten. Hat man so ein Lokal besucht, fällt einem auf, dass es in Deutschland keine Kellner gibt, jedenfalls keine richtigen. Ein leerer Teller bleibt nie länger als fünf Sekunden auf dem Tisch stehen, zu leeren Gläsern kommt es überhaupt nie. Offenbar gibt es in Tschechien Kellner, in Deutschland hingegen nur Schauspielschülerinnen und Philosophiestudenten, die kellnern und den Gästen durch schlechte Laune bemerkbar machen wollen, dass sie eigentlich zu Höherem berufen sind. Aber gibt es Höheres, als Menschen durch Ausschank von Bier glücklich zu machen? Ich glaube kaum.