Kunstempfehlung: Ohne uns!

Zum ersten Mal war ich heute in dem glasstählernen Geschäftsbau mit dem sinnigen Namen „Prager Spitze“ und schaute hinab auf das Treiben der Dresdner Passanten vor dem sagenumwobenen „Wiener Loch“ vor dem Hauptbahnhof und dem abstoßend eckigen „Kugelhaus“ gleich nebenan. Was hatte ich da zu suchen? Ich ward beglückt und begeistert von der Ausstellung unter dem Titel „OHNE UNS!„, die ebendort noch bis zum 17. Januar zu sehen ist. Genau genommen sah ich nur ein Viertel der Ausstellung, drei andere Teile gibt es nämlich noch in der Motorenhalle, dem Rathaus und der Gedenkstätte Bautzner Straße zu sehen. Aber was allein in der Prager Spitze ausgestellt ist, reicht auch so schon für einen ganzen Tag.

Die Ausstellung gibt zum ersten Mal einen umfassenden Überblick zur alternativen Kunst und Kultur in Dresden vor und nach 1989. Bilder, Plastiken, Installationen, Kunstzeitschriften, Künstlerbücher, Fotos, auf Video festgehaltene Performances – eine Unmenge von Exponaten ergeben ein äußerst lebendiges, geradezu überwältigendes Bild der Dresdner Kunstszene, die insbesondere in den siebziger und achziger Jahren neben Berlin und Leipzig die wichtigste in der DDR war. Indem die Ausstellung löblicherweise nicht mit dem Mauerfall endet (und auch osteuropäische Künstler zum Vergleich heranzieht), kann sie sichtbar machen, dass Unangepasste in jedem politischen System versuchen, gegen den Zwang der Gewöhnlichkeit anzugehen. Zugleich zeigt sich, dass die künstlerischen Themen sich durch den Systemwechsel weniger stark verändert haben als man vermuten könnte: Kritik an Bürokratie und Leistungswahn, Umweltverbrauch und öffentlicher Überwachung scheinen nach wie vor aktuell. Wer in der Opposition der DDR vom besseren Sozialismus träumte, für den bedeutete der real existierende Kapitalismus ein eher böses Erwachen.

Der Besucher findet verschiedenste Künstler in der Schau vereinigt. Einige Räume sind jenen Avantgardisten gewidmet, die die Tradition der klassischen Moderne nicht dem sozialistischen Realismus opferten und so an eine jüngere Generation weitergaben. Sodann gibt es damals untergründige, heute renommierte Künstler wie zum Beispiel Cornelia Schleime, die in einer Serie auf amüsante Weise die Spießbürgerlichkeit der Verfasser ihrer Stasi-Akten offenlegt. Das Spektrum reicht sodann bis zur aktuellen Gegenwartskunst von Jan Brokof, dem es zeichnerisch die formale Klarheit ostdeutscher Plattenbauten angetan zu haben scheint. Zu finden sind auch Werke von Protagonisten, die wie der Künstler und Lebenskünstler Lutz Fleischer ihrer Heimatstadt treu geblieben sind. Ein bisschen Wehmut wird bei Spätgeborenen der auch hier wieder höchst anschaulich gemachte Mythos vom Szeneviertel Äußere Neustadt auslösen.

Die ausgestellte Kunst der ostdeutschen Avantgarde mag formal teils auf den schon vor dem Krieg erfundenen Mitteln der künstlerischen Moderne, teils auf den aus Westdeutschland importierten Mitteln der Aktionskunst beruhen – in der Art, wie sie auf die herrschenden Verhältnisse  angewendet wurde, erscheint sie auch heute noch als außerordentlich reich, sinnlich, politisch und sexy. Braucht die Kunst die Diktatur? Nicht um gelungen, aber vielleicht um relavant zu sein? War sie jemals relevant? Kann man in einer permissiven Gesellschaft darum alles sagen, weil sowieso keiner zuhört? Ich weiß es nicht.

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