Auf meiner Schweiß treibenden und eindringlichen Recherche durch die Höhen und Tiefen der erotischen Literatur Europas bin ich zu einem neuen Höhepunkt gelangt: Der italienische Renaissancedichter Pietro Aretino, genannt „der Göttliche“ oder auch „Geißel der Fürsten“, überbietet in seinen Gesprächen (Ragionamenti, 1534/38) das freizügige und religionskritische Vorbild von Boccaccios Decamerone noch einmal bei weitem.
Aretino, in seiner Zeit bekannt und gefürchtet als Polemiker und Satiriker, schildert in diesem Roman – anscheinend fast völlig frei von jeder Scham – mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination die Sitten seiner bekanntermaßen recht unsittlichen Zeit. Dass selbst die Päpste der Renaissance keine Scheu hatten, sich mit Kurtisanen und Lustknaben in Orgien zu ergehen, ist nur ein Symptom für den Machtverlust der christlichen Moral in jener Epoche. Es blühen Unzucht und Prostitution, freilich mit all jenem Elend, den der Verkauf des Körpers im Zeitalter des beginnenden Kapitalismus mit sich bringt. Erst der mit Martin Luther neu erwachte moralische Rigorismus und Fundamentalismus in Reformation und Gegenreformation machte der Freiheit ein Ende und sorgte für Verbot und Vergessen Aretinos.
Die erfahrene Kurtisane Nanna überlegt, welchen Berufsweg ihre Tochter Nanna einschlagen sollte. Zunächst erzählt sie ihrer Freundin Antonia, wie sie selbst erst Nonne, dann Ehefrau und schließlich Hure geworden ist, wobei sich die drei Stationen wenig voneinander unterscheiden. Im zweiten Teil hat sich Nanna entschieden, ihre Tochter am besten gleich Hure werden zu lassen und weist sie in die Geheimnisse des Handwerks ein. Nun aber mal eine Leseprobe, nur für Erwachsene: Nanna erzählt von ihren Erlebnissen als Mädchen im Kloster >>>
Nanna: Nun, der ehrwürdige Vater rief die drei Mönchlein heran und lehnte sich auf die Schulter des einen, der ein schlank aufgeschossener, zartgebauter Jüngling war. Von den beiden anderen ließ er sich das Hähnchen aus dem Nest holen – das ließ aber gar traurig den Kopf hängen. Doch der gewandteste und hübscheste von den beiden Brüderchen legte es auf seine flache Hand und streichelte es mit der anderen Hand, wie man einer Katze den Schwanz streichelt, bis sie vom Schnurren ins Fauchen gerät und sich schließlich nicht mehr halten läßt. Da richtete denn auch das Hähnchen sich stolz empor. Der wackere General aber kriegte die hübscheste und jüngste von den Nonnen zu packen, schlug ihr die Röcke über den Kopf zurück und ließ sie sich mit der Stirn auf die Bettstelle aufstützen. Dann hielt er mit seinen Händen sanft ihre Hinterbacken auseinander – es sah aus, wie wenn er die weißen Blätter seines Meßbuches aufschlüge – und betrachtete ganz hingerissen ihren Popo. Der war aber weder ein spitzes Knochengerüst noch ein schwabbeliger Fettklumpen, sondern gerade die richtige Mitte: ein bißchen zitterig und schön rund und schimmernd wie beseeltes Elfenbein; die Grübchen, die man mit solchem Vergnügen an Kinn und Wangen schöner Frauen sieht, sie zierten auch diese beiden Backen, die so zart waren wie eine Mühlenmaus, die in lauter Mehl geboren und aufgewachsen ist. Und so glatt waren alle Glieder des Nönnchens, daß die Hand, die man ihr auf die Lende legte, sofort bis an die Waden herunterfuhr, wie der Fuß auf dem Eise ausrutscht, und Haare sah man auf ihren Beinen sowenig wir auf einem Ei.
Antonia: Da verbrachte wohl der Vater General den ganzen Tag mit seiner andächtigen Bewunderung, he?
Nanna: I, Gott bewahre! Er tunkte seinen Pinsel in den Farbtopf – nachdem er ihn vorher mit Spucke gesalbt hatte – und ließ sie sich drehen und winden, wie die Weiber in den Geburtswehen sich winden oder wenn sie das Mutterweh haben. Und damit der Nagel recht fest stäke, gab er seinem Spinatfreund, der hinter ihm stand, einen Wink; der löste ihm die Hosen, daß sie ihm auf die Hacken fielen, und setzte Seiner Ehrwürden visibilium das Klistier an. Der General aber verschlang mit seinen Augen die beiden anderen Knaben, die sich die beiden Nonnen recht bequem übers Bett gelegt hatten und ihnen die Sauce im Mörser verrieben …
Ein Hoch auf die Kunst der Metapher! Aretino wäre zu Lebzeiten übrigens beinahe Kardinal geworden.
Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino. Übertragen von Heinrich Conrad. Mit einer Vorbemerkung von Rudolf Noack. Frankfurt am Main: Insel Verlag, Jubiläumsausgabe 1999 [zur Zeit nur antiquarisch zu bekommen]
Ich bin begeistert.