Reise durch Polen (2)

Meinen Flirt mit dem Vegetarismus muss ich in Polen unterbrechen. Denn so gut wie jedes polnische Gericht enthält Fleisch, genauer gesagt: enthält Fleisch, das wiederum Fleisch enthält, welches mit Würsten gefüllt ist. Schmecken tut’s aber leider nur allzu gut. Rätselhaft bleiben mir die polnischen Kellnerinnen. Es scheint unmöglich, diesen herben Schönheiten auch nur ein mildes Lächeln zu entlocken. Nicht das geringste Zeichen von Freude, Anerkennung oder auch nur Mitleid zeigen sie, wenn man sich höflich ein paar Floskeln auf Polnisch abringt. Wahrscheinlich liegt es an mir. Entgegen gängiger Vorurteile wird man in Polen aber – anders als in Italien oder Spanien – nirgends übers Ohr gehauen. Kein Verkäufer verlangt von Touristen mehr Geld als von Einheimischen. Und sogar, wenn man sich an einem Tresen nur ein Bier abholt, drückt einem der Kellner unaufgefordert eine Quittung in die Hand, so als wollte er beweisen, dass in Polen alles nach europäischer Norm vor sich geht.

Mit dem Bus fahren wir von Krakau in die Waldkarpaten im äußersten Südosten Polens. In diesem einsamen Gebirge soll es Luchse, Wölfe und Bären geben. Es handelt sich also gleichsam um die Lausitz Polens. Alle zwei Stunden hält der Bus für eine Raucherpause an einer Tankstelle oder einem der Busbahnhöfe. Das polnische Radio spielt Refrains, die im Rest Europas leider längst verdrängt sind, zum Beispiel: „A-la-la-la-la-long-a-la-la-la-la-long-a-la-la-la-la-long-long-li-long-long-long!“ In diesem Song geht es offenbar um die Länge irgendeines Gegenstandes, erst eine detaillierte Textanalyse könnte hier nähere Aufschlüsse geben.

Wie sich später herausstellen wird, habe ich zielsicher den unangenehmsten Ort in den Waldkarpaten als unser Domizil ausgesucht. Er liegt zwar unmittelbar am Fuß der höchsten Berge, besteht aber ausschließlich aus einigen Hotels, einem Restaurant und einer Bergwacht. Da in Polen die Ferienzeit noch nicht zu Ende ist, sind alle Unterkünfte überfüllt. Mit Mühe finden wir noch ein Zimmer in der billigsten Absteige des Ortes. Der Boden unseres Zimmers gibt an manchen Stellen nach. Der junge Mann an der Rezeption schaut zunächst überrascht, als wir nach Bettwäsche fragen, holt uns dann aber netterweise doch Bettzeug mit Pferdemotiven, vermutlich aus seinen eigenen Beständen.

Während unseres Aufenthalts im Gebirge merke ich wieder einmal, dass ich überhaupt kein Naturbursche bin, sondern ein Großstädter, der versehentlich im Körper eines Dorflümmels geboren wurde. Die Wasserversorgung in unserer Unterkunft ist in mehrerlei Hinsicht unregelmäßig. Am ersten Tag kommt nur kochend heißes Wasser aus den Hähnen. Der junge Mann an der Rezeption meint, dass es vielleicht nachts etwas besser werden könnte. Am Tag darauf ist das Wasser dann zwar wieder lauwarm, stinkt aber aufs Erbärmlichste nach Schwefel, respektive: faulen Eiern. Während meine Liebste, die Erfahrungen als Globetrotterin in Südamerika hat, sich unbeeindruckt mit Hilfe einer Flasche Mineralwasser duscht, bekomme ich zunehmend schlechte Laune. Dazu trägt auch bei, dass sich die Tür jenes Örtchens, das man hier füglich nur als Scheißhaus bezeichnen kann, nicht nur nicht abschließen, sondern noch nicht einmal zumachen lässt. Ich verdränge die Notdurft bis zum Frühstück im benachbarten Restaurant. Dort ist alles hochmodern und schick. Es gibt auf der Toilette sogar einen Bewegungssensor, der das Licht einschaltet. Sitzt man aber auf der Schüssel, schaltet sich das Licht automatisch nach drei Sekunden wieder aus und es wird stockdunkel. Wieder hell wird es nur, wenn ich den Arm ganz nach oben recke und bewege. So sitze ich denn zehn Minuten im ständigen Wechsel von Tag und Nacht und winke beim Scheißen. Die Moral von der Geschichte: Die Moderne hat ihre Tücken wie die Steinzeit ihre Unannehmlichkeiten.

Die Wanderungen auf die Gipfel der Bergkarpaten führen zunächst durch dichten Wald. Ist man zwei Stunden aufwärts geschnauft, tritt man plötzlich hinaus auf eine Lichtung. Nun hat man die waldlosen Gipfelwiesen erreicht, von denen aus man die ganze, herrliche Landschaft überblicken kann. Auf den Wanderwegen sind so viele Menschen unterwegs wie in einer Einkaufsstraße. Schon nach wenigen Stunden sind wir so geübt darin, auf Polnisch „Guten Tag!“ zu sagen, dass wir für Einheimische gehalten und nach dem Weg gefragt werden. Dann freilich bleiben wir notgedrungen sprachlos. Nur manchmal verwechselt meine Liebste die Worte für „Hallo!“ und „Danke!“. Die polnischen Wanderer schauen dann etwas verdutzt, weil sie nicht genau wissen, wofür ihnen gerade gedankt wird. Aber solange man nicht versehentlich mit „Arschloch!“ oder „Blitzkrieg!“ grüßt, geht das wohl in Ordnung.

***

Reise durch Polen (1)
Reise durch Polen (3)

Beteilige dich an der Unterhaltung

1 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert