PEGIDA mag, wenigstens als Massenbewegung, nun der Vergangenheit angehören. Dies gilt aber leider nicht für die seltsame und gefährliche politische Strömung namens “Querfront”, deren Element PEGIDA inzwischen geworden ist. Der folgende Beitrag versteht sich als Kritik dieser Bewegung. Das Wort Kritik stammt vom griechischen Wort für “Unterscheidung” ab, eine gelungene Kritik sollte sich also durch Differenzierungsvermögen auszeichnen. Daran sei erinnert, weil einige Gegner der neurechten Bewegungen in ihrer verständlichen Ablehnung allzu undifferenziert zu Werke gehen. Begriffen wie “PEGIDA-Nazis” werden, so scheint mir, zu leichtfertig gebraucht. Bei allem Spaß an der Polemik sollte man doch Führer und Mitläufer, Überzeugte und Verwirrte sowie Neonazis, Faschisten und Konservative auseinanderhalten. Nicht, um die Gefühle der betreffenden Kameraden zu schonen, sondern um die eigene Analyse nicht zu verzerren.
Im Folgenden soll es um einen merkwürdigen Mann gehen, den man als ideologischen Großvater der “Querfront” bezeichnen könnte: Alexander Gauland. Gauland, ein promovierter Jurist, war viele Jahrzehnte lang Mitglied der CDU, gehörte vor Kurzem dann aber zu den Begründern der Alternative für Deutschland. Gauland arbeitete als Journalist und Publizist für verschiedenste Medien und war lange Herausgeber der Potsdamer Tageszeitung Märkische Allgemeine. Gauland war – neben rechten Irrlichtern wie Monika Maron und Matthias Matussek – einer der Prominenten, die zu den PEGIDA-Aufmärschen nach Dresden fuhren. Er bezeichnete PEGIDA zeitweise sogar als “natürlichen Verbündeten” der AfD. Von dem verurteilten Banditen und überführten Lügner und Hetzer Lutz Bachmann distanzierte sich Gauland zwar. Doch konnte er sich nicht dem Charme von Kathrin Oertel entziehen, für die er Wertschätzung ausdrückte. Oertel hatte sich ja von Bachmann losgesagt, nachdem sie vom Rassismus des Mannes, “den ich seit 22 Jahren kenne und der ein Freund ist“, überrascht worden war. Dass Oertels Truppe sich von PEGIDA kaum unterscheidet, hat Gauland bislang übersehen.
Was nur treibt einen – auch beim politischen Gegner respektierten – konservativen Intellektuellen auf einen solchen politischen Irrweg? Vielleicht findet sich eine Antwort auf diese Frage in den Büchern namens Anleitung zum Konservativsein (2002) und Die Deutschen und ihre Geschichte (2009), in denen Gauland seine Weltanschauung jenseits tagespolitischer Rücksichten darlegte. Gauland präsentiert sich in diesen beiden – übrigens klugen und lesenswerten – Werken als Fürsprecher eines gegenwärtigen Konservatismus in der Tradition von Edmund Burke. Keineswegs sei der Konservatismus tot, weil er sein Ziel, den klerikal-monarchisch regierten Ständestaat gegen die liberale Demokratie zu verteidigen, nicht erreicht hat. Der Konservatismus ist für Gauland eine überzeitliche, „anthropologische Konstante“, die „lebenswichtig für unsere Gesellschaft“ bleibt.1 Leider sei der Konservatismus wie der gesunde Patriotismus in Deutschland durch den – selbst keineswegs konservativen – Nationalsozialismus und die Verbrechen Hitlers diskreditiert worden:
Man mag es bedauern oder auch beklagen: Auschwitz hat die Möglichkeit einer eigenen, vom Westen unterscheidbaren geistigen Identität Deutschlands auf lange Zeit, wenn nicht für immer ausgelöscht.2
Ich weiß nicht, ob es vielleicht nur mir Unbehagen bereitet, wenn im Zusammenhang mit Auschwitz die deutsche Identität als Opfer beklagt wird. Mit Verlaub: Jeder in Auschwitz ermordete Mensch war mehr wert als die ganze deutsche Identität. Wäre nur die deutsche Identität allein in Auschwitz ausgelöscht worden! Das könnte man leicht verschmerzen. Übrigens hatte Alexander Gauland noch einige Seiten zuvor behauptet, die Deutschen hätten nach der Reichsgründung ohnehin nie eine richtige “Identifikation”, nie eine “gemeinsame Weltanschauung” entwickelt – allzu viel kann also gar nicht verloren gegangen sein.3
Was aber sieht Alexander Gauland als Kern eines modernen Konservatismus? Die Antwort überrascht: Es ist der Widerstand gegen die “menschenfeindliche Ideologie” der “Ökonomisierung aller Lebensbereiche”.4 Gauland beschwört die Angst vor ungebremster Modernisierung, Technisierung und Globalisierung und vor der Amerikanisierung der Kultur und Gesellschaft. Da werden viele Linke hellhörig. Und Gauland selbst warb schon 2002 für das paradoxe Bündnis, das heute als “Querfront” auf den deutschen Straßen mahnwacht und Wahn macht:
Dabei kann es zu neuen Bündnissen zwischen linken Antikapitalisten und rechten europäischen Fundamentalisten kommen, denn Globalisierung und Turbokapitalismus sind beiden suspekt und das alte Rechts-Links-Schema nicht länger die Wasserscheide zwischen den Lagern.5
Es ist von größter Bedeutung, den Unterschied, den Alexander Gauland gerne verschleiern möchte, genauestens zu benennen: Alexander Gauland will den Antikapitalismus zum Kern eines neuen Konservatismus machen. Seine Kritik am Kapitalismus spricht aber nicht in Namen der Gerechtigkeit. Ihn stört am Kapitalismus die modernisierende, nivellierende Kraft, mit der er schöne und wohlvertraute Traditionen, Religionen und Nationen zersetzt. Gaulands Konservatismus ist ein romantischer Antikapitalismus, den eine emanzipatorische Linke bekämpfen muss. Gauland beklagt an der ökonomischen Modernisierung:
Sie wendet sich gegen nationale Vorurteile und ethnische Begrenzungen, gegen traditionale Lebenswelten und religiöse Tabus.6
Genau diese Übel aber muss jeder, der für die Emanzipation eintritt, fröhlich begrüßen, selbst wenn sie uns vom Kapitalismus geschenkt werden. Spätestens wenn Alexander Gauland die Mittel offenbart, mit denen der neue Konservatismus die Modernisierung bremsen soll, müssen Liberalen und Linken gleichermaßen die Augen aufgehen:
Alles, was das Tempo verlangsamt, den Zerfall aufhält, in dem es die Globalisierung einhegt, ist deshalb gut und richtig: Traditionen und Mythen, Glaubensbekenntnisse und Kulturen, Ethnien und Grenzen. Selbst Vorurteile haben hier, sofern sie nicht in Gewalt und Rassismus umschlagen, ihre stabilisierende Wirkung.7
Vorurteile, die nicht in Rassismus umschlagen, sind aber ungefähr so wahrscheinlich wie Regen, der nicht nass macht. Höre man nicht auf die Warnungen der Konservativen, so warnte Gauland, dann werde ein neuer Rechtspopulismus die Folge sein. Und er beschrieb in hellseherischer Weise auch schon die PEGIDA-Bewegung:
Geistige Verbarrikadierung in der eigenen nationalen oder regionalen Identität, Flucht in übersichtliche Gemeinschaften und Aussperrung des Fremden ist Teil des menschlichen Bedürfnisses besonders jener, die im täglichen Rattenrennen nicht vorne liegen.8
Hat etwa Alexander Gauland, lange vor Markus Ulbig, die PEGIDA-Demonstranten schon als Ratten bezeichnet?! Jedenfalls hat er nun mit dem Rechtspopulismus und dem aggressiven Nationalismus, vor dem er vor einigen Jahren noch warnte, ein politisches Bündnis geschlossen – offenbar in dem fatalen Irrglauben, hier endlich eine Massenbasis für seine Idee eines neuen Konservatismus zu finden. Sein schon damals geäußertes Verständnis für die Machtansprüche Russlands konnte er bei der PEGIDA ebenfalls wiederfinden. Dass der stilvolle Konservative nicht schon angesichts der pöbelhaften Stillosigkeit dieser Bewegung seinen Irrtum einsah, ist recht traurig.
Alexander Gauland gleicht einem in die Jahre gekommenen Gentleman, der plötzlich, zum Schrecken seiner Familie, noch einmal eine Affäre mit einer jungen, etwas vulgären Frau von der Straße beginnt. Und die heißt auch noch Peggy. Ich fürchte, Peggy wird den reifen Herrn nicht glücklich machen, sondern ihn nur ausnutzen und dann sitzen lassen, als Gespött der ganzen Welt.
Michael Bittner
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1 Alexander Gauland: Anleitung zum Konservativsein. Zur Geschichte eines Wortes. Stuttgart/München: DVA, 2002, S. 8.
2 Alexander Gauland: Die Deutschen und ihre Geschichte. Berlin: wjs, 2009, S. 152.
3 Die Deutschen und ihre Geschichte, S. 84.
4 Anleitung zum Konservativsein, S. 42.
5 Ebenda, S. 96.
6 Ebenda, S. 53.
7 Ebenda, S. 87.
8 Ebenda, S. 47.