Neulich hatte ich eine Wahnsinnsidee: Es müssten Texte geschrieben werden, nur für das Theater, in denen der Dichter schon an die Aufführung denkt, in Dialogen formuliert, Anweisungen für den Regisseur gibt, also alles so einrichtet, dass es später über die Bühne gehen kann. Solange dieser Vorschlag aber noch keine Zustimmung gefunden hat, müssen erst einmal weiter Romane inszeniert werden.
Am Staatsschauspiel, wo der neue Indendant Wilfried Schulz gerade seinen Job antrat, sah ich gestern Abend Wilhelm Meisters Lehrjahre in der Regie von Friederike Heller. Kann man einen so komplizierten Roman, befrachtet noch dazu mit zwei Jahrhunderten philosophischer Deutungsgeschichte, auf die Bühne zu bringen? Nein, man kann es nicht. Aber man kann im besten Fall einen Kommentar zum Buch schaffen, ein paar Ansichten des Romans neu interpretieren und ihn so mit der Gegenwart konfrontieren. Das ist hier ohne Zweifel gelungen, interessant und unterhaltsam, wenn auch der Zwang, die Handlung bis zum Schluss runtererzählen zu müssen, am Ende doch zu einigen Längen und Quälereien führt. Ansonsten geht das Stück als aufwändig inszenierte Nummernrevue voller schöner Regieeinfälle über die Bühne. Die stark geraffte Handlung wird immer wieder durch kurze Erzählungen nachgeholt, während jede einzelne Szene als lustvolles Spektakel inszeniert wird. Ein guter Einfall war es, das Theater, dem sich Wilhelm Meister im Roman mit Leib und Seele verschreibt, selbst zum Mittelpunkt der Theaterversion zu machen. Das Spiel im Spiel im Spiel wird auf die Spitze getrieben, wenn die Figuren auf der Bühne selbst Stücke inszenieren, über den Sinn des Theaters diskutieren oder Schwänke aus dem Schauspielerleben zum Besten geben. In diesen Momenten machen auch die (bis auf Albrecht Goette) durchweg neuen Schauspieler die beste Figur. Dass Wilhelm Meister seine Begeisterung für das Theater dem Puppenspiel verdankt, spiegelt die Aufführung dadurch, dass ein Teil der Figuren, darunter das romantische Kind Mignon, durch Puppen dargestellt wird. Aber das ist noch nicht alles: Immer wieder gibt’s auch musikalische Einlagen. Der „Harfner“ und seine melancholischen Lieder werden von der nicht unbekannten Indie-Band Kante dargestellt. „Zum Schlafen biste da ni gekommen, was?“, meinte eine Rentnerin zur anderen in der Pause. Nein, es war wirklich ziemlich laut und meistens auch lebendig. Der schon zu Goethes Lebzeiten eher mit Unverständnis und Spott aufgenommenen Schluss, in dem Wilhelm Meister von einer mysteriösen Turmgesellschaft den Sinn des Lebens mitsamt einer Frau frei Haus geliefert bekommt, wird hier so dargestellt, wie man es heute einzig noch machen kann: ironisch.
Merkwürdig wenig junge Leute waren bei dieser sehr jugendlichen Inszenierung im Haus, darum sei sie an dieser Stelle durchaus empfohlen. Besonders belobigt sei schließlich noch, dass Studenten nur 6 Euro Eintritt zahlen müssen – Hartz-IV-Empfänger (gegen Nachweis) sogar für nur 1 Euro ins Theater kommen können (wenn sie denn wollen).
Ich war letzte Woche im Wilhelm Meister und war maßlos begeistert. Ich saß in der zweiten Reihe und war so vom Stück gebannt, dass ich erst zum Pausengong realisiert hab, dass ich ja eigentlich im Theater sitze. Zum Schluss hin hat sich das Stück tatsächlich etwas verändert, aber das ist denke ich auch der Romanvorlage geschuldet.
Besonders beeindruckend waren die Handpuppen mit ihren fast lebensechten Gesichtszügen. Der Eindruck des nahtlosen Übergangs zwischen den Welten wurde durch die Szenen, in denen die Schauspieler mit den Puppen interagieren nur verstärkt – ein Kasperltheater in einem Puppentheater in einem Schauspielhaus hab ich bis dato noch nicht gesehen :)
Und Kante waren auch großartig! Also unbedingt hingehen. Und alle die schon waren, können sich auf die Heilige Johanna freuen.