Im Anti-Kriegs-Museum

Menschen reagieren seltsam auf Kriege. Sind sie selbst nicht beteiligt, schauen die Leute den kämpfenden Parteien verständnislos und kopfschüttelnd zu: “Was für eine absurde Sache ist doch ein Krieg! So viele sinnlose Opfer und Zerstörungen! Warum können die sich denn nicht einfach an einen Tisch setzen und Frieden machen?” Geraten Menschen aber selbst in einen Konflikt, erscheint ihnen der Krieg ganz plötzlich nicht mehr als grotesker Unfug, sondern als eine gerechte Sache. Nichts ist verführerischer und leichter, als sich in die Logik des Krieges rutschen zu lassen. Ganz selbstverständlich erscheint es Kämpfenden, gegen den Feind mit Gewalt vorzugehen. Jede Partei glaubt ja, das Recht – früher sagte man: Gott – auf ihrer Seite zu haben. Frieden ist nur auf zwei Arten möglich: Entweder eine der Parteien siegt oder beide verzichten auf ihr vermeintliches Recht. Der Frieden durch Verzicht ist eine schwierige, beinahe unmögliche Sache. Denn je mehr Opfer eine Partei während eines Krieges erbringt, desto unwürdiger muss ihr so ein Verzicht erscheinen.

Der Frieden ist im Frieden selbstverständlich und erscheint im Krieg fast undenkbar. Dazu trägt bei, dass Gesellschaften im Krieg sich uniformieren. Dem Kampf gegen den äußeren Feind entspricht der Kampf gegen den inneren, gegen die Zweifler, die als Verräter gebrandmarkt werden. Unter solchen Bedingungen erhebt kaum einer die Stimme dafür, den Frieden durch eigenen Verzicht wiederherzustellen. Demokratien sind wohl auch deswegen seltener an Kriegen beteiligt, weil in ihnen die Zweifler auch während eines Krieges nicht völlig mundtot gemacht werden können. Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg war nicht so total wie im Zweiten Weltkrieg, weil es noch eine teilweise freie Presse, noch ein Parlament, noch Demonstrationen gab. So erzwang ein Teil der Öffentlichkeit den Abbruch des aussichtslosen Kampfes. Anders als unter Hitler, der durch totalen Terror fast jeden Widerspruch unterband, gab es während des Ersten Weltkrieges einige Menschen, die sich allem nationalistischen Furor zum Trotz schon früh der Logik des Krieges widersetzten. Man denkt gewiss zuerst an Menschen wie Rosa Luxemburg und Karl Kraus. Weniger bekannt ist der anarchistische Pazifist Ernst Friedrich. Als der sich irgendwann weigerte, die Uniform anzuziehen, wies man ihn zur Beobachtung in die Psychiatrie ein, so absonderlich schien sein Verhalten. Später landete er auch im Gefängnis. Nach dem Krieg widmete sich Friedrich, der u.a. mit Käthe Kollwitz und Erich Mühsam befreundet war, vor allem der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Darüber hinaus wurde der Kampf gegen den Krieg für ihn zum Lebensthema.

Im Jahr 1925 eröffnete Ernst Friedrich im Zentrum von Berlin das Internationale Anti-Kriegsmuseum. Es wurde 1933 von den Nazis zerstört und zum “Sturmlokal” der SA umgewandelt, in dem auch politische Gegner gefoltert wurden. Auch Friedrich wurde zeitweise von den Nazis interniert, konnte dann aber fliehen, zunächst in die Schweiz, dann nach Belgien, dann nach Frankreich. 1982 wurde das Anti-Kriegs-Museum neu gegründet, geleitet wird es von Tommy Spree, einem Enkel von Ernst Friedrich. Es befindet sich heute in der ruhigen Brüsseler Straße im Wedding, im Haus Nr. 21. Tritt man ein, glaubt man sich eher in einem Wohnzimmer als in einem Museum wiederzufinden. Buchregale enthalten Werke der pazifistischen Literatur. Bilder und Texte zur gewalttätigen Geschichte der Menschheit hängen an den Wänden. Und ein Fernseher zeigt einen Film über die Geschichte des Museums. Ein Weggefährte von Ernst Friedrich gesteht da offenmütig, der Name Anti-Kriegs-Museum sei schon am Anfang etwas hochtrabend gewesen. Und natürlich kann ein kleines Museum von der Größe einer Familienwohnung unmöglich den Anspruch einlösen, den so ein hehrer Titel suggeriert. Aber gerade der Kontrast zwischen der gewaltigen Aufgabe und der Bescheidenheit der Mittel macht auch den Charme des Anti-Kriegs-Museums aus: Es symbolisiert in seiner Unvollkommenheit selbst den unermüdlichen, aber beinahe aussichtlosen Kampf des machtlosen Pazifismus gegen die übermächtige Gewalt.

In einem kleinen Nebenraum erzählen Tafeln vom Leben bedeutender Pazifistinnen und Pazifisten. Neben bekannten Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner, Albert Einstein oder Gandhi lernt man hier auch weniger prominente Friedenskämpfer kennen. Eine schmale Treppe führt hinunter in einen originalgetreu erhaltenen, mit historischen Utensilien ausgestatteten Luftschutzkeller. Eine Karte an der Wand veranschaulicht, wie viel von Berlin übrig bliebe, schlüge im Stadtzentrum eine Atombombe ein. (Nichts.) Wieder oben angekommen, kann man hinüber in die angeschlossene Peace Gallery gehen. Noch bis zum 1. März 2015 läuft dort eine Ausstellung zum bekanntesten Buch von Ernst Friedrich mit dem Titel Krieg dem Kriege. Der viersprachige, dokumentarische Band erschien zuerst 1924 und wurde zum internationalen Erfolg. Kurt Tucholsky schrieb: “Die Photographien der Schlachtfelder, die Photographien der Kriegsverstümmelten gehören zu den fürchterlichsten Dokumenten, die mir jemals unter die Augen gekommen sind.” In unseren Tagen sind die abscheulichsten Gräuelbilder alltäglich geworden. Dennoch ist es immer noch fast unerträglich, manche Bilder in Ernst Friedrichs Buch zu betrachten. Geschickt nutzte er das Mittel der Kontrastierung, um nicht einfach nur das Elend, sondern die Infamie des Krieges darzustellen. Man sieht Soldaten in Heldenpose neben Soldaten in Totenstarre. Spazierende und feiernde Generäle und Könige neben verreckenden Soldaten. Sarkastische Bilderklärungen im Stil von Karl Kraus verstärken oft die entlarvende Wirkung. Das Buch ist heute so wertvoll wie vor hundert Jahren. Erfreulicherweise ist es immer noch erhältlich, im Mai 2015 soll eine weitere Neuausgabe mit einem Vorwort des Historikers Gerd Krumeich erscheinen. Vielleicht wäre es einmal eine schöne Aktion, Exemplare kostenlos an Besucher im neuen “Showroom” der Bundeswehr an der Friedrichstraße zu verteilen.

Der abstrakte, radikale Pazifismus, der – das christliche Gebot der Feindesliebe strikt befolgend – jede Gewalt und jeden Krieg ablehnt, ist gewiss eine moralisch respektable Erscheinung. Aber auch diese Haltung kann ins moralische Dilemma führen. Es gibt nämlich auch Kriege, in denen sich wirklich Recht und Unrecht gegenüberstehen. Wer in einem solchen Konflikt mit Verweis auf den eigenen Pazifismus neutral bleiben will, dient wohl weniger dem Frieden als der eigenen Selbstzufriedenheit. Der Pazifist Ernst Friedrich entschied sich übrigens anders: Im Zweiten Weltkrieg schloss er sich der französischen Résistance an, streifte eine Uniform über und kämpfte gegen die deutschen Besatzer.

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Das Anti-Kriegs-Museum befindet sich in Berlin-Wedding in der Brüsseler Straße 21 und ist täglich von 16-20 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Voraussichtlich im Mai 2015 erscheint: Ernst Friedrich: Krieg dem Kriege. Neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin. Mit einer Einführung von Gerd Krumeich. Christoph Links Verlag. 300 Seiten. 16,90 Euro.

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